Sarum
Gallien lief schleppend. Constantius sah sich gezwungen, das Stadthaus in Venta Belgarum, das seit Generationen in Familienbesitz war, zu schließen.
Da erreichten ihn Gerüchte, daß eine große sächsische Flotte einen Überfall auf die ungeschützte Insel vorbereite. Zuerst wollte er es nicht glauben, doch die Gerüchte verstummten nicht. Plötzlich befand sich die Gegend in einem panikartigen Zustand. Die Städte Calleva und Venta Belgarum verstärkten ihre Wehrmauern. Darüber hinaus verhandelte Calleva über den Hafen von Londinium wegen eines Kontingents germanischer Söldner zur Unterstützung der eigenen, unzureichend ausgebildeten Miliz. Venta versuchte das gleiche. Hier begannen die Auseinandersetzungen mit Petrus. »Laß mich nach Venta gehen und ein halbes Dutzend Söldner anwerben«, verlangte er. »Wir können ihnen in Sorviodunum Quartier geben. Dieser Ort muß verteidigt werden.«
Constantius hatte das abgelehnt. Da hatte der Junge ihn angeschrien. Und nun…
Es war Zeit fürs Gebet. Gott würde sie leiten. Das Gebet würde ihn mit Petrus versöhnen.
Die Flanken des Pferdes waren schweißnaß. Petrus war scharf geritten, doch nun lag sein Ziel endlich vor ihm.
Er hatte die Villa sofort nach der ärgerlichen Szene mit seinem Vater verlassen und inzwischen nicht einmal Rast gemacht. Es gab für ihn keinen Zweifel an der Dringlichkeit seiner Mission und an der Rechtmäßigkeit der Durchführung. Damals glaubte Petrus Porteus allerdings noch, daß er immer im Recht sei – das war sein einziger Fehler. Vor ihm lag in der Nachmittagssonne des Herbsttages die kleine Stadt Venta Belgarum, von einem massiven Wall umgeben, auf einer Anhöhe.
Petrus trieb sein Pferd an. Sein junges Gesicht mit den dunklen Augen war blaß und angespannt. Mit einer raschen, nervösen Geste fuhr er sich durch die Locken.
Die Stadt lag still da. Er bemerkte, daß die Straßen in schlechtem Zustand waren. Die Pflastersteine hatten sich gelockert, hier und dort wuchs Unkraut, und viele Häuser, so auch das große Haus der Porteus, waren von ihren Bewohnern aus Gründen der Sparsamkeit verlassen worden. Das Forum war noch intakt, ein sauberer offener Platz, von hübschen Häusern mit Portiken umgeben; in seiner Mitte stand eine Säule zu Ehren des fast vergessenen Triumphes des Kaisers Mark Aurel. Petrus hielt inne.
»Wo sind die Germanen?« fragte er einen Vorübergehenden. Dieser deutete auf das Osttor: »Dort draußen.« Einige Männer verstärkten gerade das Mauerwerk am Tor, durch das er eintritt. Unmittelbar davor lag ein kleiner Friedhof, ein christlicher Friedhof, wie Petrus bemerkte. Daneben befand sich das Lager der germanischen Söldner. Es waren auffallende Erscheinungen: große, breitschultrige Männer mit harten, unrasierten Gesichtern, kalten blauen Augen und flachsblondem Haar, das sie zu Zöpfen geflochten hatten. Es mochten an die fünfzig sein, die vor ihren Zelten herumlungerten und ihn dreist anstarrten, als er absaß.
»Wo ist euer Anführer?« fragte er. Einer von ihnen deutete gleichmütig mit dem Daumen auf ein Zelt, vor dem ein Soldat – etwa in Petrus’ Alter – neben einem kleinen dunkelhaarigen Mann saß, der wie ein Händler aussah.
Die beiden hörten sich Petrus’ Wünsche an, und der Händler, offensichtlich der Mittelsmann, antwortete: »Diese Leute kann man mieten, junger Mann. Aber der Preis ist hoch.« Er blickte Petrus zweifelnd an. Dieser nahm einen Lederbeutel mit Münzen vom Gürtel. Ohne Wissen seines Vaters hatte Placidia sie ihm vor dem Ritt zugesteckt. Er schüttete ein Dutzend aus, damit der Händler, dessen Augen sich vor Staunen weiteten, sie prüfen konnte. Es waren goldene solidi, ein Jahrhundert zuvor – während der Regierungszeit Theodosius’ des Großen – geprägt. Münzen wie diese wurden auf der Insel allmählich rar.
»Für wie lange brauchst du die Männer?«
Das war schwer zu sagen; die Sachsen konnten jederzeit angreifen.
»Vielleicht für ein Jahr.«
Der Händler nickte nachdenklich und richtete ein paar Worte an den Germanen in dessen Sprache. Dieser nickte, und der Händler wandte sich wieder an Petrus. »Suche dir die Leute aus«, sagte er. Früh am nächsten Morgen ritt Petrus, gefolgt von sechs germanischen Kriegern, aus dem Westtor von Venta Belgarum. Sie machten sich auf den Weg nach Sarum.
Es war ein seltsamer Anblick: ein blasser junger Mann auf einem schönen Pferd, dahinter sechs große Germanen auf Ponys, die viel zu klein für diese Männer
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