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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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seinen Ring empfangen. Wenn je ein Mann ihn angreifen sollte, werde ich ihn mit meinem Leben verteidigen.« Es gab zustimmendes Nicken. Der sächsische Ehrenkodex verlangte diese Schwüre, und Port würde, wenn seine Vorfahren auch Kelten waren, zu seinem Wort stehen.
    Nun hob Aelfwald das große Hörn eines Auerochsen an seine Lippen und rief: »Port, wir trinken auf dich!« Und alle Anwesenden erhoben ihre Gläser.
    Der Than blickte langsam und ernst um sich, damit alle die Bedeutung des Augenblicks erkannten. Dann stand er erneut auf und sprach: »Freunde, wir haben miteinander gegessen und Met getrunken. Doch es gibt etwas noch Wichtigeres.« Er hielt inne: »Unsere Pflicht Gott gegenüber.«
    Eine achtungsvolle Stille trat ein. »Ich habe eine tiefgreifende Ankündigung zu machen«, fuhr der Than fort. »Beim Tod meiner Mutter legte ich vor ihr das Gelübde ab, daß ich der Kirche Gottes großzügig spenden würde.« Er blickte umher. »Vor vier Jahren baute ich die Zelle auf meinem Grund in Twyneham, wo mein Sohn Aelfwine als Mönch lebt.« Beifälliges Gemurmel. »Heute habe ich beschlossen, daß Osric, der Sohn des Schreiners, auf meine Kosten in der Schule von Canterbury die Kunst der Illumination erlernen soll.« Nun wurde Beifall geklatscht. »Doch damit nicht genug«, rief der Than, »um mein Gelübde zu erfüllen, mache ich eine Schenkung. Auf dem Feld neben dem Kreuz will ich eine Kirche bauen. Sie soll nicht aus Holz sein wie diese Halle, sondern aus Stein. Und ich gebe Land dazu für einen Geistlichen, der dort als Priester wirken soll.«
    Es herrschte bedrücktes Schweigen. Pfarrkirchen waren in England noch eine Seltenheit, und Kirchen aus Stein kannte man kaum. Die Baukosten auch für ein bescheidenes Gebäude mußten extrem hoch sein – und ein großes Opfer selbst für einen so reichen Mann wie Aelfwald. Port hielt die Augen auf den Tisch gesenkt. In seinem Kopf wirbelte alles durcheinander. Während er daran dachte, daß er nicht einmal gewillt war, das Gelübde seiner Schwester gegenüber einzulösen, wurde er schamrot.
    »Ich bin unwürdig, ein Than zu sein«, stöhnte er leise auf. Und als Aelfwald sich wieder setzte und die Menschen einander zutranken, wußte Port, was er zu tun hatte.
    Mit immer noch rotem Gesicht, den Kopf leicht hin und her wiegend, erhob er sich unsicher. Der Lärm um ihn verstummte, und die Gäste wandten sich ihm überrascht zu. Da rief er laut: »Ich, Port, löse das Versprechen ein, das ich meiner Schwester Edith gegeben habe. Ich schenke dem Nonnenkloster von Wilton ein schönes Goldkreuz zur Ehre Gottes.«
    Er sank auf seinen Sitz. Nun war es geschehen. Die Leute klatschten Beifall. Seine Ehre war gerettet. Aber das Geld war weg, und er würde niemals ein Than sein.
    In der Dunkelheit draußen fiel leichter Schnee auf Sarum – ein Zeichen, daß wenigstens in diesem Winter Frieden herrschen würde.
    Es war eine Stunde nach Morgengrauen. In der kleinen Holzkapelle, wo die sechs Mönche ihre Gebete verrichteten, erhob Osric sich steif von seinen Knien. Der Boden war hart vom Januarfrost. Es war Zeit fürs Tagewerk, und wie immer, seit er in der Mönchszelle lebte, fürchtete der Junge sich davor. Fast eine halbe Stunde lang hatte er allein gebetet, doch das hatte ihm keinen Trost gebracht. Ein einziger Gedanke hielt ihn aufrecht: »Nur noch sechs Monate«, flüsterte er, »dann werde ich nach Canterbury geschickt.«
    Dort, wo die Flüsse Avon und Stour in den Hafen am Meer mündeten, stand eine bescheidene Siedlung, etwa zwei Dutzend durch eine Palisade geschützte Häuser, die den Namen Twyneham erhalten hatte; das hieß soviel wie »Stelle an zwei Flüssen«.
    Wie Wilton lag sie in dem Winkel, den die beiden bildeten. Gegenüber befand sich die Landzunge mit dem kleinen Hügel, der den flachen Hafen gegen die Stürme des Englischen Kanals abschirmte, und nördlich davon, östlich von Twyneham, dehnte sich das weite flache Moor, das landeinwärts allmählich in Wald überging. Hier besaß Aelfwald ein großes Jagdrevier.
    Am Waldrand hatte er eine geräumige Lichtung schlagen lassen, wo die bescheidenen Gebäude des kleinen Klosters auf trockenem Boden standen. Obwohl das Kloster nur aus einem Schlafraum, einem Refektorium mit Küche und einer Kapelle, also aus drei größeren Hütten bestand, besaß es doch einen schönen Psalter und ein Paar wundervolle juwelenbesetzte Kerzenleuchter, von der Frau des Thans gestiftet. Hier führten unter der nicht allzu strengen

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