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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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gehofft…« begann sie. Er sah, wie ihre freudige Erregung nachließ.
    »Es könnte schon sein. Ich will sehen«, sagte er rasch. Er konnte ihr nicht in die Augen blicken.
    Sie nickte langsam. »Du sagst mir, wenn es möglich ist«, murmelte sie traurig. Ihre Unterwürfigkeit deutete an, daß ihre Hoffnung schwand. »Natürlich«, nickte er.
    Nun gingen sie wieder zu den anderen. Die Äbtissin zeigte Aelfwald den neuesten Schatz des Klosters: ein großes, in Leder gebundenes Evangeliar. Der Deckel war mit herrlichen Edelsteinen in Kreuzform verziert, und die Seiten waren wundervoll illuminiert.
    Die Äbtissin deutete auf den kunstvoll geschriebenen Text. Die meisten der in England vorkommenden Unzialschriften leiteten sich entweder von der keltisch-irischen oder der kontinental-fränkischen, der sogenannten karolingischen Schule ab.
    Aelfwald sagte nichts – er konnte weder lesen noch schreiben. Sein Blick wurde von etwas anderem angezogen. Er lächelte. Osric, ein ernsthafter Junge, war zwölf Jahre alt. Auffallend waren seine großen grauen Augen und die kleinen Hände mit kurzen Daumen. Beides hatte er von seinem Vater geerbt, einem Schreiner auf Aelfwalds Landsitz.
    Einige Jahre zuvor hatte, sehr zu Aelfwalds Überraschung, sein zweiter Sohn Aelfwine beschlossen, Mönch zu werden. So ließ der Than eine Zelle für sechs Mönche auf seinem Grund in der Nähe von Twyneham an der Küste errichten und brachte Aelfwine dort unter. Er hoffte, daß sein Sohn seine Meinung rechtzeitig ändern würde. Bisher war das nicht der Fall gewesen. Als der Schreiner seinem Herrn erzählte, daß sein kleiner Sohn Osric ähnliche Ambitionen habe, schickte der Than den Jungen einfach dorthin.
    »Aelfwine kann sich um ihn kümmern und uns mitteilen, wenn er genug hat«, sagte er zu dem Schreiner. Das war nun bald ein Jahr her.
    Und drei Tage zuvor war Osric auf Besuch zu seinen Eltern gekommen, und der Than hatte bemerkt, daß der Junge nicht glücklich war. Aelfwines Berichte über ihn waren gut gewesen, und weder der Schreiner noch der Than konnten herausfinden, was den Jungen bekümmerte. Vielleicht, so dachte Aelfwald, bedauert Osric seine Entscheidung und ist zu stolz oder zu ängstlich, es zuzugeben. Er fragte Osric wiederholt: »Bist du sicher, daß du Mönch werden willst?« Und der Junge behauptete, daß es so sei. Aelfwald spürte, daß das Kind unglücklich war, aber offenbar konnte man ihm sein Geheimnis nicht entlocken.
    Nun jedoch hellte sich Osrics Gesicht plötzlich auf. Er betrachtete das illuminierte Buch, vertiefte sich in die sorgfältigen Schriftzüge, bestaunte die mit Blattgold unterlegten, großzügig ausgestalteten Initialen. Es war offensichtlich, daß die Welt um ihn her versank. Es war nicht verwunderlich, daß Osric als Nachfahre zahlreicher Generationen von Handwerkern sich von einer solchen Meisterschaft beeindruckt zeigte. Aelfwald legte ihm die Hand auf die Schulter und fragte: »Glaubst du, du könntest so etwas auch?«
    Der Junge überlegte lange. »Ich glaube schon, Herr.«
    »Würdest du so etwas gerne machen?« fuhr Aelfwald fort. Die Augen des Kindes leuchteten: »O ja!«
    »Gut. Ich werde mit dem König sprechen. Diesen Sommer schicken wir dich entweder nach Winchester oder nach Canterbury, damit du das Handwerk erlernst. Möchtest du das?« Osrics Gesicht gab ihm die Antwort.
    Als die Sonne über dem Tal sank, begann das Fest. Um Aelfwalds große Halle mit ihren massiven Eichenbalken und dem erhöhten Boden gruppierten sich die soliden strohgedeckten Holzhäuser des Gutshofes. In einiger Entfernung lag zu beiden Seiten der Straße, die sich auf dem Talgrund dahinschlängelte, der kleine Ort Avonsford, der aus einem Dutzend Hütten bestand; er war von den für die sächsische Landschaft typischen offenen Feldern umgeben. In Avonsford erstreckten sich über Hunderte von Metern zwei lange Felder, durch Hügelkämme in Streifen unterteilt.
    Die Dorfbewohner hatten den Feldern Namen gegeben: Das östliche hieß Paradies, das westliche Fegefeuer. Schwere Pflugscharen, von Gespannen aus sechs oder acht Ochsen gezogen, brachen den Boden um, genauso wie Caius Porteus es sich achthundert Jahre zuvor erträumt hatte. Die langen Höhenzüge waren genau aufgeteilt; einige gehörten dem Herrn, andere den Bauern oder den Lehnsleuten, den Freigelassenen oder ehemaligen Sklaven. Die Dorfbewohner bearbeiteten die Felder, und der Herr nahm sich seinen Anteil. Das Land zu beiden Seiten des Flusses, das Aelfwalds

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