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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Geld, erwartest du nicht auch eine Gegenleistung, genau als würdest du selbst die Mühle oder den Hof betreiben? Der Gewinn aus diesem Geld ist der Zinssatz, das ist alles.« Sie überlegte. Es klang logisch, aber es sagte ihr trotzdem nicht zu. Sie schwieg eine Zeitlang, dann hellte sich ihre Miene auf. »Aber ich bearbeite den Boden, und er bringt Ernte, und mein Bruder arbeitet in der Mühle und walkt Tuch. So machen wir unser Geld.«
    »Natürlich«, Aaron lächelte, »aber da ist kein Unterschied. Wenn du arbeitest, arbeitet auch das Geld auf dem Gutshof und erwirtschaftet den Gewinn.«
    Jetzt wußte sie, daß er unrecht hatte!
    »Geld arbeitet nicht, Jude«, rief sie, »ich arbeite!« Das einfache abstrakte Prinzip hinter fast allen wirtschaftlichen Aktivitäten und praktisch hinter der gesamten menschlichen Zivilisation kränkte ihr praktisches Gemüt aufs äußerste. »Man hätte Euch beibringen sollen, mit Euren Händen zu arbeiten«, sagte sie streng.
    Dies war eine Lösung des Judenproblems, die man schon oft vorgeschlagen hatte, nicht nur wohlmeinende Landbesitzer, sondern sogar hochintelligente Leute wie der Kirchenmann Grosseteste und der bedeutende Philosoph und Theologe Thomas von Aquin.
    Aaron sagte sich, daß das Vorurteil von gemeinhin intelligenten Leuten gegen die Finanzregeln, von denen ihr Leben abhing, zu tief verwurzelt war, als daß er dagegen angehen könne. Während er die Wintersonne auf seinem Haar spürte, hoffte er, daß die nächste Generation klüger sein würde.
    Und gleichzeitig dachte Mary, daß der alte Jude so tief in der Sünde stecke, daß er nicht einmal den Unterschied zwischen ehrlicher Arbeit und Diebstahl sehen könne.
    So ließen sie einander auf dieser letzten gemeinsamen Reise für den Rest des Weges in Frieden und fuhren schweigend zum Hafen. Am Morgen von Allerseelen, dem geheimnisvollsten aller Tage, an dem, so wußte ein jeder, die Toten aus ihren Gräbern steigen, legte ein bescheidenes hölzernes Schiff mit einem Rahsegel quietschend vom Kai in Christchurch ab. Aaron, drei Erwachsene und vier Kinder aus Wilton standen im Rumpf und konnten gerade über den Bootsrand sehen. Der Kapitän hatte für jeden einen Schilling im voraus für die Überfahrt kassiert.
    Der gebeugte, schmalgesichtige Mann drängte seine Passagiere unsanft um den Mast zusammen, damit sie ihm nicht im Weg waren. Die Mannschaft bildeten seine beiden Söhne.
    Aaron sah Mary Shockley ein kurzes Lebewohl winken, bevor sie ihren Wagen wendete und an der ChristchurchPriorei vorbei auf die Straße nach Sarum holperte. Während das Boot langsam in den stillen seichten Hafen einfuhr, hielt der Jude sich am Mast fest und versuchte, in dieser letzten Stunde noch möglichst viel von England zu sehen. Das Boot trug sie an dem Sandstreifen, der den Hafen abschloß, vorbei durch den schmalen Kanal hinaus aufs offene Meer. Ein paar Fischer standen am Ufer neben ihren Booten und beobachteten schweigend das kleine Schiff. Es schlug gegen die leichte Dünung und stieß seinen stumpfen Bug von der Landzunge weg auf den Solent-Kanal und die hohen Kreideklippen der Isle of Wight zu.
    Zwanzig Minuten vergingen. Trotz des gehißten Segels kamen sie nur langsam voran. Aaron wandte sich um und sah zurück. Dort über dem braunen Wasser lag, unter einem grauen Himmel, die Landzunge. Es war Ebbe, und der Kapitän plauderte mit seinen Söhnen. Es kümmerte ihn anscheinend wenig, wohin die Fahrt ging. Durch seine Unachtsamkeit lief das Boot etwa eine Meile von der Landzunge entfernt auf einer Sandbank in der Bucht auf Grund. Die Passagiere murrten, der Kapitän fluchte laut über seine eigene Dummheit.
    Den Leuten blieb nichts anderes übrig, als herauszuklettern. Sie standen bis zu den Knien im kalten Salzwasser auf der Sandbank, während der Kapitän und seine Söhne das Boot fluchend auf- und abschaukelten, um es wieder flottzumachen. Endlich gelang es ihnen, und damit nicht der gleiche Fehler noch einmal passierte, wateten die drei mit dem Schiff ein paar Meter weiter und forderten die Passagiere auf zu bleiben, wo sie waren. Erst als jede Gefahr gebannt war, stieg die Mannschaft wieder ein, der Kapitän als letzter. Er warf einen Blick auf die Passagiere, die immer noch gehorsam auf der Sandbank warteten. »Wie sollen wir denn einsteigen?« rief einer von ihnen. Der Kapitän grinste: »Ihr steigt nicht mehr ein. Ihr bleibt, wo ihr seid.«
    »Aber wir haben doch die Überfahrt bezahlt.«
    »Und damit hat sich’s«,

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