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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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lachte der Kapitän vor sich hin. Rasch stießen die Söhne mit ihren Rudern ab und ließen das Schiff hinaus ins tiefe Wasser gleiten.
    »Die Flut kommt«, schrie der Kapitän. Er sah zu Aaron hin. »Denk an Moses, Alter, dann kannst auch du die Wasser teilen.« Er brüllte vor Vergnügen über seinen tollen Witz. Seine Söhne wendeten das Boot, stellten es in den Wind, und als das Segel sich knallend füllte, nahmen sie Kurs auf den Hafen.
    Nun erst begriffen die Juden, daß das Manöver mit der Sandbank nur ein Trick gewesen war. Es herrschte ratloses Schweigen. »Was sollen wir jetzt machen?« wandte der jüngere Mann sich an Aaron.
    »Könnt ihr schwimmen?«
    »Nein.«
    Die beiden Männer und die Frau waren nicht in der Verfassung für physische Kraftakte, selbst wenn sie hätten schwimmen können. Die drei Kinder, schmal und schweigsam, befanden sich in einem schockartigen Zustand. Aaron blickte umher. Es war eine Meile bis zur Landzunge und etwa eineinhalb Meilen bis zur Küste. Das Wasser reichte ihm schon übers Knie.
    »Wir müssen versuchen zu schwimmen«, sagte er schließlich: Er fühlte, daß es hoffnungslos war. Aber wenn sie blieben, würden sie auf jeden Fall ertrinken.
    »Vielleicht sieht uns jemand«, meinte einer der Männer. Die Küste war verlassen. Auf dem Sandstreifen an der Landzunge sah er noch die Fischer. Aber würden die sie retten? Erst da sahen sie den Sturm.
    Die schwarzen Wolken über der Bucht wirkten zuerst ganz harmlos, als sie am Horizont erschienen. Doch dann hatten sie sich in Minutenschnelle ausgebreitet, verdunkelten den Westen und kamen in rasender Geschwindigkeit übers Wasser wie unheilvolle Raubvögel. Der Sturm setzte mit ungeheurer Heftigkeit ein und peitschte die See zu wilder Gischt hoch, warf sie gegen die Landzunge, und die grauschwarze Brandung krachte auf den Schotterstrand. Als das Boot die Landzunge umrundet und den sicheren Hafen erreicht hatte, gingen die Fischer, die das bemitleidenswerte Häuflein auf der Sandbank stehen sahen und die schwachen Rufe über das Wasser hörten, schließlich zu ihren Booten und wollten die Leute retten. Als sie aber sahen, wie rasch das Unwetter aufzog, gaben sie ihr Vorhaben auf. Sie suchten Unterschlupf in einer kleinen Hütte, die sie im Windschatten einer Düne errichtet hatten, und warteten dort den schlimmsten Sturm ab.
    Eine Stunde später, als der Winterhimmel aufklarte, wagten sie sich wieder hervor – von Aaron und seinen Begleitern aber war nichts mehr zu sehen.
    In späterer Zeit deuteten die Fischer manchmal von der Landzunge aus hinüber zur Sandbank und erzählten ihren Kindern: »Dort haben sie gestanden. Dort sind die Juden ertrunken.« Und noch lange Zeit hieß es: »Wenn der Sturm bläst und ihr hört genau hin, dann könnt ihr die weinenden Stimmen in den Wellen vernehmen.«
    Die Ausweisung der Juden aus England ging rasch und reibungslos vor sich. Abgesehen von vereinzelten Ausschreitungen, bei denen die Beschuldigten meist von den Behörden bestraft wurden, blieben die Juden unbehelligt.
    Die Kirche triumphierte; darüber war man sich einig. Mary Shockley hörte erst einige Tage später von Aarons Tod, und da zuckte sie nur die Achseln. »Seine Seele ist sowieso verloren«, meinte sie leichthin. »Ich habe wenigstens versucht, ihn zu retten.«
    Im Frühjahr darauf leistete Osmund der Steinmetz seinen letzten Beitrag zur großen Kathedrale.
    Das war ihm eine merkwürdige Genugtuung, teils auch deshalb, weil niemand davon wußte.
    Das Kastell des alten Sarum auf seinem kahlen Kalkhügel war zu einem abgelegenen Ort geworden. Es war allerdings nicht verlassen, denn eine Garnison war dort stationiert, und es gab ein Gefängnis. Das Städtchen hielt immer noch einen kleinen Markt ab und entsandte Bürger ins Parlament. Doch wenige Menschen von außerhalb gingen freiwillig auf den windigen Hügel am Rand der Anhöhe. Der Klerus war froh, von dort weggekommen zu sein. Und wenn auch immer noch Messen in der alten normannischen Kathedrale des Bischofs Roger gelesen wurden, sprachen die Leute oft von der alten Stadt als Caesar Kastell in der irrigen Annahme, die Düne sei, eher als das verschwundene Sorviodunum unten, eine römische Siedlung gewesen.
    Doch Osmund ging gern dorthin. Er hatte die Schnitzereien für Clarendon fertiggestellt – hübsche Tierköpfe um eine Tür angeordnet. Seitdem hatte er keinen Auftrag mehr bekommen. Die öde Leere des Kastells entsprach seiner Stimmung. Eines Tages entdeckte sein

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