Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
Vom Netzwerk:
erfüllte selbst die mit der Arbeit beschäftigten Steinmetzen mit Ehrfurcht.
    Niemand war davon mehr fasziniert als der alte Osmund. Wenn er bei den Steinmetzen auch nicht beliebt war, so hatten sie doch nichts dagegen, daß Edward ihn ein- oder zweimal im Jahr mit auf den Turm nahm und ihm den Fortschritt der Bauarbeiten zeigte. In den ersten Jahren hatte Edward immer erklärt: »Er wird alt. Vielleicht ist es das letztemal, daß er den Turmhelm sieht, bevor er stirbt.« Doch im Lauf der Jahre wurde das zu einer stehenden Redewendung bei der kleinen Schar, die noch in den oberen Bereichen des Helmes arbeitete. Doch Osmund hatte sich anscheinend ruhig auf ein unangreifbares Altsein eingelassen. »Wir bauen noch eine Kathedrale, ehe der Alte stirbt«, spaßten die Steinmetzen allmählich, wenn er umständlich die lange Treppe zum Turmhelm hinaufkletterte.
    Jahr um Jahr wuchs der Turm, und Jahr um Jahr stieg Osmund hinauf und besichtigte ihn. Die angefügten Strebepfeiler fingen anscheinend den Druck der Arkaden auf. Die hoch aufragenden Pfeiler aus PurbeckMarmor standen wie durch ein Wunder unverrückbar. Der Helm hatte eine Höhe von achtzehn Metern erreicht, als in einem kalten Februar Osmunds Frau an einer Lungenentzündung starb. Er nahm es gefaßt hin und zog bald darauf zu Edward und dessen Familie.
    Um die Jahrhundertwende hatte der alte Steinmetz all seine Zeitgenossen überlebt.
    Jocelin de Godefroi war 1292 gestorben; im Dezember 1295 hatte Peter Shockley im Alter von neunundsechzig Jahren, zwei Tage nach seiner Frau, das Zeitliche gesegnet. Alicia war in jenem Frühjahr krank geworden, und während des Sommers sah er sie still dahinsiechen. Kurz vor ihrem Ende, während er an ihrer Seite wachte, schwatzte sie im Delirium zu seiner größten Verwunderung Französisch. Er verstand weder, was sie sagte, noch konnte er herausfinden, mit wem sie sprach. An dem Tag, als sie auf dem kleinen Friedhof neben der St.Thomas-Kirche begraben wurde, klagte er über Müdigkeit. Und am Abend fand man ihn tot im Lehnstuhl.
    Doch Osmund lebte, und wenn seine Enkelkinder ihn fragten: »Wie lange lebst du noch, Großvater?«, antwortete er: »Bis der Turmhelm fertig ist.«
    Das Mißgeschick, das die Familien Godefroi und Wilson in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts traf, war indirekt durch den König ausgelöst worden.
    Für Eduard I. waren die Jahre nach 1289 Zeiten wachsender Finsternis. Seine Pläne mit Schottland hatten sich zerschlagen, als im Spätsommer 1290 die Maid von Norwegen starb, und wenn er auch nominell Oberherr von Schottland blieb, waren seine Hoffnungen auf die friedliche Vereinigung der nördlichen und südlichen Insel unter seiner Dynastie zunichte gemacht. Schlimmer noch: Er selbst erlitt im November jenes Jahres eine tiefe Erschütterung durch den unerwarteten Tod seiner geliebten Frau, der Königin Eleonore von Kastilien. Der gramgebeugte König begleitete ihren Sarg von Lincoln nach London, und an jedem Ort, wo der Trauerzug die Nacht über haltmachte, ließ er ein schönes Steinkreuz errichten.
    Das letzte war das Charing Cross in London. Anscheinend nahmen die Dinge überall einen unguten Verlauf. In den Mittneunzigern wurde England wegen der Gascogne in einen Krieg mit Frankreich getrieben. Die Waliser rebellierten ebenso wie die Schotten, die nun nach dem Tod der Maid von Norwegen gleichermaßen Thronansprüche stellten, gegen den König. Der Friede, den er bewirkt hatte, sein gesamtes Lebenswerk war bedroht; von da an befand er sich fast ununterbrochen im Kriegszustand.
    Wie üblich verursachten die Kriegskosten Probleme. Während das Königreich England mit seinen aufstrebenden Städten und dem blühenden Wollhandel immer reicher wurde, war das bei König Eduard persönlich nicht der Fall. Seine Finanzen hingen immer noch von den Feudaltributen ab, von seinen eigenen Besitzungen, den Erträgen aus den Gerichtshöfen und jedweden Abgaben, die er durch Sonderbesteuerungen von seinen Vasallen und der Kirche erheben konnte.
    In Kriegszeiten, das wußte er, reichte das nicht aus, und so stark Eduard auch war, er konnte seine Ideen nicht durchsetzen. Der größte Landbesitzer war die Kirche, und da ihr vom frommen Adel in jeder Generation neues Land vermacht wurde – Land, das sich auf diese Weise für immer der Kontrolle des Königs entzog –, vermehrte sich der Reichtum der Kirche auf seine Kosten. In seiner Statute of Mortmain bestand er zwar darauf, daß in Zukunft nur der König diese

Weitere Kostenlose Bücher