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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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gesetzt. Er hatte sich entschlossen, nicht nach London zu gehen, sondern mit einem halben Dutzend Leuten, dem Rest der Gemeinde von Wilton, in einem kleinen Schiff von Christchurch nach Frankreich überzusetzen. Peter Shockley wollte seinen alten Freund unbedingt in seinem Wagen dorthin bringen, aber da er und Christopher durch Geschäfte abgehalten waren, hatte er Mary trotz ihrer Einwände kurzerhand zu Aarons Begleitung bestimmt. Sie sollte außerdem dafür sorgen, daß er sicher an Bord gelangte.
    Drei Wagen beförderten die wenigen Personen und die geringe ihnen verbliebene Habe auf der holprigen Straße langsam voran. Sie brauchten für die fünfundzwanzig Meilen zwei ganze Tage, und in der Nacht vor dem Allerseelentag rumpelten sie über das Kopfsteinpflaster des Städtchens Christchurch mit seinem dunklen kleinen Kastell auf dem grasbewachsenen Buckel am Hafen.
    Aaron war erstaunlich gelassen. Die Ruhe in Avonsford hatte ihn so weit hergestellt, daß er fast wieder der alte war. Sein Freund Jocelin hatte ihm nicht nur einen Beutel mit Silbermünzen aufgedrängt, er hatte ihn auch neu eingekleidet. Aarons grauer Bart war ordentlich zurechtgestutzt, seine blauen Augen waren wieder klar, und er saß ganz ruhig und beobachtete aufmerksam die Landschaft im Vorbeifahren. Wenn er auch aus dem Land verbannt wurde, das ihm Heimat gewesen war, fühlte er sich, wie er dem Ritter von Avonsford anvertraut hatte, zu alt, um das anders als gleichmütig hinzunehmen.
    Auf dieser letzten Fahrt von Sarum an die Küste versuchte Mary Shockley Aaron zu bekehren. Sie glaubte, damit Gottes Werk zu vollbringen, aber glücklich war sie nicht über diese Aufgabe. Sie war ein offenes, gutherziges Mädchen. Sie wußte, daß die Juden Höllenqualen zu erleiden hatten, wenn sie sich nicht bekehren ließen. Sobald sie über die Ayleswade Bridge und auf der Straße nach Süden waren, erläuterte sie Aaron ihre Absicht.
    Es stimmte den lebenserfahrenen Juden fröhlich, neben der völlig ungebildeten, ehrlichen jungen Frau in dem quietschenden Wagen zu sitzen. Sie redete den ganzen Weg nach Fordingbridge auf ihn ein und setzte ihm die Sinnlosigkeit des Judentums und die größere Autorität ihrer Kirche auseinander.
    Er argumentierte nicht viel, aber sie merkte, daß sie nicht weiterkam. Trotzdem ließ sie sich nicht entmutigen. Nachdem sie den Fluß bei Fordingbridge überquert hatten, warnte sie ihn vor den Gefahren der Hölle: Er müsse Buße tun dafür, daß die verbrecherischen Juden Christus ans Kreuz gebracht hätten. Der alte Mann erwiderte ihr geduldig, eher amüsiert als verärgert über ihre Hartnäckigkeit, daß er nicht daran denke, den Gott im Stich zu lassen, der ein Bündnis mit seinen Vorfahren geschlossen hatte. Sie verbrachten die Nacht in Ringwood.
    Am nächsten Tag legte Mary sich einen neuen Angriffsplan zurecht, da sie sich in diesem strittigen Punkt geschlagen geben mußte. »Warum betätigt Ihr Euch als Wucherer«, fragte sie, »wo doch die Bibel und die Kirche sagen, Wucher sei Sünde?«
    »Ich bin kein Wucherer.«
    »Ihr verleiht doch Geld gegen Zins.«
    »Ja, aber was die Bibel als Wucher bezeichnet, ist Wucherzins, das ist etwas anderes«, entgegnete er ruhig. »Geld muß immer Zinsen bringen, sonst gäbe es keinen Grund, es zu verleihen.«
    »Ihr sollt aber keinen Zins fordern«, beharrte sie. »Das sagen die Priester.«
    Aaron seufzte. Über die tiefe Unkenntnis einfacher Finanzierungsmethoden, die hinter dieser haltlosen Doktrin stand, konnte er nur traurig sein. Aber er machte es ihr nicht zum Vorwurf und hoffte, daß sie endlich aufhören werde, mit ihm zu rechten – er war müde. Doch seine Leidenschaft für Genauigkeit ließ ihn noch antworten: »Wucherzins zu fordern ist ein Verbrechen, aber Zins als solcher muß sein.«
    Sie sah, daß es ihm ernst war, und ihre Miene verzog sich ungläubig, als der alte Mann, wenn auch erschöpft vom Argumentieren, zum letztenmal versuchte, das grundsätzliche Vorurteil des Mittelalters gegen alle finanziellen Transaktionen auszuräumen.
    »Als dein Großvater Geld in die Mühle investierte, Mary, war das nur möglich, wenn seine Investition sich bezahlt machte. Es ist genau das gleiche, wie wenn ein Mensch einen Hof hat und ihn bewirtschaftet. Du mußt einen Ertrag erwirtschaften oder aufgeben. Wenn du deine Waren auf dem Markt verkaufst, bekommst du dafür Geld. Wenn du nun aber jemanden beim Bau einer Mühle oder beim Kauf eines Gutshofes finanzieren willst mit deinem

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