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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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ins Bett stieg, zerstreute er ihre Sorgen.
    »Es heißt, daß alle Studierenden in Oxford dünn und nervös aussehen«, meinte er. »Zuviel Lesen und Denken. Wenn er erst hier in Sarum im Geschäft arbeitet, wird es ihm wieder bessergehen.« Die Messe war vorüber. Die Priester kamen durch die Kathedrale zurück. Die Shockleys verneigten sich respektvoll. Da plötzlich trat Martin ins Kirchenschiff vor. »Huren und Diebe!« brüllte er die überraschten Priester an. »Eure Messe ist eine Beleidigung Gottes.« Einen Moment starrte die kleine Prozession zuerst ungläubig, dann wütend, auf Martin und seinen Vater.
    »Verbrecher!« schrie Martin erneut. Da aber stürzte sich Stephen, von einem Angstruf seiner Frau begleitet, auf seinen Sohn und zerrte ihn aus der Kirche.
    Als sie am Glockenturm standen, erfuhr Stephen in wenigen Minuten die Wahrheit; und eine halbe Stunde später, nachdem er seinen Sohn zu Hause eingesperrt hatte, erklärte er Cecilia und seinen anderen Kindern: »Er ist ein Anhänger Wyclifs geworden.«
    Natürlich wußte Stephen von Wyclif: wie seine Predigten und Schriften in Oxford einen Sturm heraufbeschworen hatten, wie ihn John of Gaunt ins Parlament gebracht hatte, um der Kirche Schwierigkeiten zu bereiten, und wie er ergebnislos vor ein Kirchengericht gebracht worden war, wo er dank seiner Freunde bei Gericht vorerst mit einem Verweis davongekommen war.
    »Dieser Mann ist ein Unruhestifter, und unser Sohn ist dumm genug, auf diesen Unsinn zu hören«, sagte er. »Wenn er nicht aufpaßt, endet er im Gefängnis des Bischofs – und wir auch«, fügte er düster hinzu.
    Seine Ängste schienen berechtigt, denn am nächsten Tag wurde ein blasser junger Priester namens Portehors vom Dekan zu ihnen geschickt. »Nicht nur der Dekan, sondern auch Bischof Erghum selbst möchten etwas über diesen jungen Mann wissen, der die Priester in der Kathedrale beschimpft hat.« Er sah Stephen durchdringend an. Die folgende Unterredung, an der Stephen teilnahm, deprimierte ihn zutiefst. Portehors war etwas größer als Martin, zwei Jahre älter und vielleicht noch um zwei Schattierungen blasser. Sein Großvater Le Portier war zur Zeit des Schwarzen Todes aus der Stadt geflohen, aber nachdem er Priester geworden war, hatte er wieder den Namen Portehors angenommen, um die Verbindung mit dem Kanonikus derselben Familie im vergangenen Jahrhundert zu betonen. Wie seine übrige Familie war auch er peinlich genau, und er befragte den jungen Mann eingehend.
    »Wie ich höre, sind dir die Predigten des Ketzers Wyclif vertraut?«
    »Ja«, antwortete Martin stolz. »Und du stimmst mit dem, was er sagt, überein?«
    »Ja. Großenteils.«
    »Zum Beispiel?«
    »Ihr Priester, vor allem die Kanoniker, habt reiche Pfründen. Ihr verpachtet eure Länder um Sarum mit hohem Gewinn. Ihr lebt wie Adlige.«
    »Was ist daran falsch?«
    »Christus lehrte, daß die, die ihm nachfolgen, ihre weltlichen Güter aufgeben sollen.«
    »Die Kirche sagt das nicht.«
    »Die Kirche hat unrecht.«
    »Du meinst, die Anhänger Christi sollten ihren weltlichen Besitz aufgeben?«
    Martin nickte. »Natürlich.«
    Portehors lächelte geziert. »Du irrst. Da du die Heilige Schrift liest, wirst du wissen, daß der Apostel Petrus versucht, die Soldaten anzugreifen, als sie den Herrn Jesus im Garten von Gethsemane festnehmen wollen.«
    »Natürlich.«
    »Und der Herr sagte zu ihm: ›Steck dein Schwert weg.‹« Martin nickte.
    »Achte auf die Worte: dein Schwert. Daraus geht hervor«, Portehors leierte die Erklärung mechanisch herunter, »daß die Apostel persönlichen Besitz hatten. Beachte, daß der Herr Petrus nicht wegen des Besitzes eines Schwertes tadelte, sondern nur wegen des Gebrauchs an jenem Ort und zu jener Zeit.« Er lächelte. »Du siehst also: Die Schrift verurteilt persönlichen Besitz nicht, nicht einmal in den Händen des heiligen Petrus.«
    Es war genau die Art von absurder Logik, in der die weniger bedeutenden Gelehrten schwelgten, um ihre Spitzfindigkeit zu demonstrieren. Martin war damit vertraut und schwieg.
    Als Portehors sah, daß der junge Mann nicht beeindruckt war, fragte er: »Was weiter?«
    »Ich bin gegen die Einrichtung der Votivkapellen und gegen das Singen der Seelenmessen, bei denen ihr Priester dafür bezahlt werdet, für die Seele eines Menschen zu beten, der glaubt, wenn er eure Mäuler stopft, könnte ihm ein Teil seiner Höllenstrafe erlassen werden. Ich bin noch mehr gegen den Ablaßhandel, wo ihr den Menschen Sünden

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