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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Spätsommer kam ein einzelner Mann langsam aus dem Wald im Osten und ging dorthin, wo die fünf Flüsse sich trafen. Er war sehr alt, wahrscheinlich älter als irgendein Mann im Süden der Insel. Sein Gang war schleppend, und er stützte sich auf einen Stab. Sein plötzliches Auftauchen rief eine nervöse Erregung unter den Jägern hervor.
    Sie hatten ihn zwölf Jahre nicht mehr gesehen, und seine Anwesenheit bedeutete, daß es ein großes Fest ihm zu Ehren geben würde. Dann konnte man wichtige Angelegenheiten wie etwa die Ankunft der Siedler besprechen und seinen Rat einholen. Kein Mann wurde höher geehrt, und keiner war weiser als dieser Alte, der sich einem Jäger nur ein- oder zweimal im Leben zeigte. Es war der Wahrsager. Zu jener Zeit gab es mehrere Wahrsager auf der Insel – seltsame Gestalten, die meist allein lebten und durch die Wälder von einem einsamen Lager zum nächsten wanderten. Wohin sie auch kamen, die Jäger nahmen sie in Ehren auf.
    Manchmal verschwanden sie monatelang im Wald. Sie waren weise, denn sie kannten alle Geheimnisse des Waldes, jede heilbringende Wurzel und die Gewohnheiten eines jeden Tieres. Dieser Wahrsager wurde besonders verehrt, denn man sagte ihm Zauberkräfte nach und nannte ihn den alten Mann aus den Wäldern. Er war wirklich sehr alt – über sechzig, und die meisten Menschen wurden damals nicht älter als fünfzig. Er war außergewöhnlich weise.
    »Er wird viele Geschichten erzählen«, sagte Magri zu einem Bauern, »und dann bringt er der Mondgöttin ein großes Opfer, damit wir eine gute Jagd haben.«
    Als der Medizinmann von diesem Besucher hörte, wußte er, was er zu tun hatte.
    Ein paar Abende später gab es dort, wo die fünf Flüsse ineinanderflossen, etwas Bedeutendes zu sehen. Am Ufer, wo das Wasser einen trägen Bogen nach Südwesten machte, brannten zwei große Feuer. Über dem einen wurde ein Wildpferd, über dem anderen ein Hirsch gebraten. Zwischen den Feuern saßen in einem großen Kreis nicht weniger als fünfzehn Jägerfamilien, die meilenweit hergekommen waren, um den alten Mann zu hören.
    Seit vielen Jahren hatte es eine solche Versammlung nicht mehr gegeben – es war lange vor der Ankunft der Siedler gewesen. Und wie sie da mit Fleisch, Fisch und Beeren feierten, vergaßen die Jäger fast, daß sich inzwischen etwas verändert hatte. Auf dem Ehrenplatz saß der Wahrsager. Das Alter hatte ihn sehr verändert. Er war zusammengeschrumpft und sah aus wie ein knorriger Baum, seine Knochen und Gelenke standen vor wie Äste und Knoten im Holz. Haupthaar und Bart waren silbrigweiß und hingen, wenn er saß, bis auf den Boden. Von den Köstlichkeiten, die ihm die Jäger anboten, aß er nur wenig.
    Sie erzählten ihm von den Siedlern, und er lauschte aufmerksam, doch ohne Kommentar; das sollte am nächsten Tag bei der von den Jägern abgehaltenen Beratung besprochen werden. Vorerst beschränkte der Wahrsager sich darauf, seine Leute an ihre Vergangenheit zu erinnern, wie nur er das konnte.
    Gegen Ende des Festes verfielen die Jäger in Schweigen, und nun sprach der Wahrsager. Zuerst war seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern, doch dann durchfuhr sie die Nacht wie ein Lichtstrahl. Während er sich an dem Thema erwärmte, stieg auch seine Stimme zu einem magischmelodischen Gesang an, der von weit her zu kommen schien.
    Zuerst berichtete er von den alten Jagdzeiten: wie ihre fernen Vorfahren in Sarum Auerochse, Wisent und Eber erlegt hatten. Dann berichtete er von den Göttern, vom Land und seiner Verschiedenartigkeit, von anderen Menschen, denen er auf seinen Wanderungen rund um die Insel begegnet war. Er erzählte ihnen von dem Stammbaum ihrer Familien, die sich in Sarum niedergelassen hatten, woher und wann sie gekommen waren. Ihre Namen und Taten lebten in seinem Gedächtnis, und die Umsitzenden waren voll des Staunens über ihre eigene lange Geschichte.
    Schließlich kam er zur ältesten aller Erzählungen: zur Entstehung der Insel. Es war der alte Bericht, den Hwll dreitausend Jahre zuvor verfaßt hatte, und er hatte sich in der langen Zeit kaum verändert. Als der Alte geendet hatte, wurde das Schweigen durch einen Schrei durchbrochen, der von außerhalb kam. Die Jäger wandten sich überrascht um und sahen sich von Kriegern umgeben, die reglos und voll bewaffnet im Dunkel standen. Noch ehe sie wußten, was geschah, trat der Medizinmann vor.
    Er stieg rasch über die sitzenden Jäger weg und watschelte in die Kreismitte. Sein Gesicht war weiß

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