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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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erschien Magri und nahm ihm gegenüber Platz.
    Krona sagte: »Das Töten muß ein Ende haben.«
    »Warum haben deine Leute den Wahrsager umgebracht?« fragte Magri. Krona verstand das Verhalten des Medizinmannes sehr wohl. Er war tief betroffen von der törichten Tat und hätte sie lieber abgeleugnet, doch er wußte, wenn er das tat, würden die Jäger die Siedler für schwach und uneinig halten und ihre Angriffe noch härter führen. Und wenn umgekehrt die Siedler glaubten, Krona mache mit den Jägern gemeinsame Sache, würden sie nicht mehr auf ihn hören und dem Medizinmann folgen. Daher erwiderte Krona: »Er kam mit bösem Zauber.«
    Magri: »Das sagt ihr.«
    Krona: »Der Sonnengott hat zu unserem Medizinmann gesprochen. Er war verärgert über den Wahrsager. Der Sonnengott hat seinen Tod befohlen. Ihr müßt das verstehen.«
    Magri schwieg eine Zeitlang. Von Anfang an hatte er die Überlegenheit der Siedler gespürt; deshalb hatte er den Jägern geraten, ihnen das Tal zu überlassen, während Taku und die anderen sie töten wollten. War das vielleicht doch ein Fehler gewesen? Jedenfalls sah es so aus: Zuerst waren seine Leute beleidigt worden, nun wurden sie getötet.
    »Euer Medizinmann sagt, wir müssen die Sonne anbeten«, begann Magri. »Wir Jäger beten die Mondgöttin an. Wenn wir das nicht tun, verläßt sie uns, und wir haben keine Jagd mehr.«
    »Ihr könnt beide anbeten. Ihr könnt auch die Sonne verehren, dann sind wir wieder eure Freunde«, erwiderte Krona. »Wenn unsere Leute Krieg machen, gibt es ein furchtbares Töten. Unsere Männer sind Krieger, und die Jäger werden vernichtet. Wir müssen Frieden schließen und wieder Geschenke austauschen.«
    Nach dieser Unterredung trat eine beklemmende Waffenruhe ein. Den ganzen Winter hindurch gingen Siedler und Jäger unruhig ihrer Arbeit nach; jede Bewegung hätte eine neue Krise heraufbeschworen. Im Sommer darauf gab es eine Rekordernte. Der Medizinmann triumphierte. Jetzt war seine Macht größer denn je.
    Nun machte er auf Kronas Hügel aus der Lichtung ein kleines Heiligtum. Es bestand aus zehn großen, inmitten der Lichtung im Kreis aufgestellten Baumstümpfen. Im Zentrum des Kreises brachte er mit einem jungen Gehilfen dem Sonnengott die Opfergaben dar. Zweimal im Jahr kamen nicht nur die Siedler, sondern aus den Wäldern auch eine Jägerschar, die ohne ein Wort für den Gott der Siedler Wildbret brachten.
    Im Wald aber, den Blicken des Medizinmannes entzogen, opferten sie der Mondgöttin und führten vor der Jagd bei Vollmond die alten Tänze auf, wie es ihre Vorfahren von alters her getan hatten. Trotz der Anmaßung des Medizinmannes fanden die beiden Gemeinden allmählich zu einem friedlichen Einvernehmen zurück. In der Einfriedung wurde der Tauschhandel zwischen Jägern und Siedlern behutsam wiederaufgenommen. Dies war vor allem das Verdienst der beiden alten Männer Krona und Magri.
    Krona, der ruhig sein Tagewerk vollbrachte, ohne sich um die Opfer für die Götter zu kümmern, blieb die einflußreichste Stimme der Gemeinde. Eine bestimmte Stelle unmittelbar vor dem langgestreckten Haus wurde sein Lieblingsplatz, und dort konnte man ihn oft auf einem der dicken Säcke sitzen sehen, in denen die Siedler Schafwolle aufbewahrten, seine Keule als Symbol der Macht zu seinen Füßen: So blickte er über die Siedlung, die er gegründet hatte. Die Bauern suchten ihn immer noch als Schiedsrichter in Streitfragen auf, und selbst der Medizinmann näherte sich dem alten Krieger vorsichtig.
    Am liebsten jedoch saß Krona dort allein, niemanden außer Liam um sich, und seine scharfen durchdringenden Augen beobachteten den gewundenen Fluß unten mit den ruhig dahingleitenden Schwänen.
    Magri kam oft zu ihm. Auch er wurde alt, und auch er hatte gelernt, Geduld zu üben. Die beiden Männer saßen einander still gegenüber, wechselten in Stunden vielleicht nur ein paar Worte, doch sie behandelten sich gegenseitig immer mit aufmerksamer Höflichkeit, die, das wußten sie, zur bleibenden Harmonie zwischen ihren beiden Stämmen nötig war, und so lösten sich viele kleine Streitfragen zwischen den Gemeinden, die hätten gefährlich werden können, ruhig und friedlich. Oft fragte der alte Jäger Krona über sein Leben auf der anderen Seite des Meeres aus.
    So erfuhr er manches über die Gemeinde an der Küste, die Krona verlassen hatte, über Hunderte von anderen Bauernsiedlungen auf dem Festland. Als er erkannte, wie weitläufig das alles war, wurde er sehr

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