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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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zu leisten. Also schob er die schweren Gedanken von sich, wies mit dem Stab auf vier verschiedene Kreispunkte und gab eine knappe Anordnung: »Markiert diese Punkte!«
    Sogleich trieben die Priester an den bezeichneten Stellen ihre Stöcke in den Boden. Auf diese Weise vermaßen die Astronomenpriester von Stonehenge jede Nacht von neuem den Himmel. Der Halbmond stand hoch am kalten Herbsthimmel.
    Der geheiligte Grund erstreckte sich viele Meilen über die gewellte Landschaft. Dazu gehörten nicht nur die Hügelgräber, sondern auch kleine Holztempel und Erdwälle, die Wahrzeichen aus Jahrhunderten, in denen das eigene Gepräge dieses Hochlands bewahrt blieb. Inmitten des Bezirks stand auf einem sanft gewellten Abhang der magische Steinkreis, der Henge.
    Er war gewaltig: Ein kreisförmiger Kreidewall von hundertvierzehn Metern Durchmesser umschloß das innere Heiligtum. Vom Eingang an der Nordostseite führte eine breite Kultstraße zwischen Erdwällen etwa fünfhundert Meter durch die Landschaft. Zwei mächtige Steine bildeten den Eingang zum Heiligtum, den nur die Priester und ihre geweihten Opfer durchschritten. Im Inneren befanden sich zwei kleine Erhebungen für astronomische Beobachtungen, ein äußerer Kreis mit sechsundfünfzig Markierungen, die der jetzige Hohepriester sorgfältig in die rechte Ordnung hatte bringen lassen, und ein doppelter, erst halb vollendeter Innenkreis von aufrecht stehenden Steinen, den heiligen Bluestones. Der Henge bestand schon seit achthundert Jahren und hatte mystische Bedeutung. Er war nicht nur Schauplatz für die Ritualopfer der Priester an den Sonnengott und die Mondgöttin. Es gingen auch astronomische Kräfte von ihm aus, die auf jegliche Unternehmung im gesamten Gebiet von Sarum und auf sein großes Oberhaupt Krona entscheidenden Einfluß hatten.
    Obwohl es größere Steinkreise gab, schärfte Dluc seinen Priestern immer wieder ein: »Die Maße unserer Anlage sind günstiger, und außerdem sind wir die besseren Astronomen.«
    Dieser Henge war vollkommen: Am 21. Juni, zur Sommersonnenwende, ging die Sonne am Horizont genau gegenüber dem Eingang auf und sandte ihren ersten Purpurstrahl die Kultstraße entlang durch die Steine am Torbogen in die Kreismitte hinein. Zur Wintersonnenwende sank die Sonne in der entgegengesetzten Richtung, so daß ihre letzten Strahlen die Bluestones und die Kultstraße zum Abschied aufleuchten ließen. Die Priester kerbten die Tage im Henge ein und fanden den Kalender, indem sie den Lauf der Sonne am Firmament durch hölzerne Markierungen festlegten. Sie errechneten die Daten der Sonnenwende ebenso wie Tagundnachtgleiche; sie bestimmten die Zeiten des Säens und Erntens und all die anderen Regeln, die in den heiligen Überlieferungen der Priester aufgezählt waren. Der Henge war eine gigantische Sonnenuhr, die die Tage des Jahres anzeigte.
    Über den Henge und ganz Sarum herrschte der Sonnengott. Seine schweigende Gegenwart lag über dem Hochland und den Tälern. Morgens und abends, wenn seine mächtigen Strahlen die nackten Hügelkämme trafen, wo die fünf Flüsse zusammenkamen, wußte jeder Mensch, daß der Sonnengott auf ihn herunterblickte.
    Dluc wurde durch zwei leichtfüßige Läufer, die eine leere Sänfte trugen, in seinen Gedanken unterbrochen. Sie liefen sehr rasch über den geheiligten Boden.
    Am Eingang zum Heiligtum warfen sie sich zu Boden. Ein junger Priester machte Dluc auf die beiden aufmerksam. Dieser runzelte die Stirn. »Was hat die Unterbrechung zu bedeuten?«
    »Es geht um Krona, Hoherpriester«, antworteten sie. »Er läßt nach dir schicken.«
    »Ist er krank?«
    Die beiden zögerten. »Das wissen wir nicht«, sagte der Ältere, »aber er ist sehr aufgebracht.« Sein Begleiter nickte bestätigend. Dluc unterdrückte einen Seufzer. »Ich komme.« Nachdem er den Priester angewiesen hatte, den jungen Verbrecher, der zu seinen Füßen lag, bei Sonnenaufgang zu opfern, stieg er in die Sänfte.
    Sie trugen ihn in gleichmäßig schnellem Lauf die sieben Meilen bis zu der Stelle, wo die fünf Flüsse sich trafen. Hier, im Herzen Sarums, lag die Residenz des großen Oberhauptes Krona.
    Seit Menschengedenken hatte die Familie des Oberhauptes in Sarum geherrscht. Nicht weniger als achtzig Generationen der Familie, die sich auf ihre Abstammung vom legendären Krieger berief, wurden bei der Einsetzung eines neuen Oberhauptes von den Priestern in feierlicher Reihenfolge aufgesagt. Um die ununterbrochene Herrschaft der Familie zu

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