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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Stein, jeder viele Tonnen schwer, wurden auf den kahlen Hügelrücken mit geometrischer Genauigkeit aufgestellt. Manche dieser Kultheiligtümer bedeckten ein Areal von mehreren Morgen Land. Bewundernswert ist die technische Ausführung, die in perfekt durchorganisierter Gemeinschaftsarbeit vollbracht wurde. Diese Henges erinnern an die Weisheit und das Anspruchsdenken der Herrscher jener Zeiten.
    Nirgendwo sonst in Nordeuropa gibt es derartige Kultstätten, doch in Britannien findet man sie überall – von Cornwall bis an die Nordspitze Schottlands. Ihre Entwicklung zog sich über viele Jahrhunderte hin. Zuerst wurden sie aus Erde, später aus Holz und schließlich aus Stein errichtet. Die Form war jedoch gleichbleibend kreisrund, und die Eingänge orientierten sich im allgemeinen auf eine Achse hin, die auf die aufgehende Sonne um die Sommersonnenwende ausgerichtet war.
    Doch damit begann erst die Baukunst der Henges, und bis heute erforschen Archäologen und Mathematiker die religiösen und astronomischen Besonderheiten dieser erstaunlichen Kultstätten. Die meisten davon finden sich in der Gegend von Sarum. Dreißig Meilen nordwestlich liegt der große Henge in der Ortschaft Avebury. Ein paar kleinere, darunter ein schöner Henge aus Holz, liegen in der Nähe von Sarum. Der größte und eindrucksvollste Henge aber ist Stonehenge nördlich von Sarum.
    Mit seinem Bau wurde bald nach 3000 v. Chr. begonnen. Zuerst bestand er aus einem flachen Ringwall aus Erde, dessen Eingang auf die aufgehende Sonne bei der Sommersonnenwende ausgerichtet war. Innerhalb dieses Erdwalls wurden bald darauf sechsundfünfzig Monolithen in gleichen Abständen in einem Kreis aufgestellt. Auch der Eingang war von mächtigen Steinen gerahmt. Um 2100 v. Chr. wurde, mehr zur Mitte hin, ein Kreis aus den sogenannten Bluestones errichtet. Diese heiligen Steine waren fast zwei Meter hoch, wogen vier Tonnen und wurden zu einer Zeit, als die Baumeister sich der Vorteile des Rades noch nicht bedienen konnten, über eine Entfernung von zweihundertvierzig Meilen auf dem See-, Land- und Flußweg aus den Prescelly-Bergen in Südwales geholt. Für den vollständigen Kreis wären über sechzig solcher Steine nötig gewesen. Um 2000 v. Chr. ereignete sich allerdings etwas Seltsames.
    Aus unbekanntem Grund wurde der halbvollendete Bau mit den Bluestones plötzlich unterbrochen, und diese wurden von der Baustelle entfernt. Dann begann man mit einer neuen Anlage. Sie hatte eine Kultstraße, die, eingefaßt von Erdwällen und Gräben, etwa fünfhundert Meter über die wellige Anhöhe führte. Die gewaltigen grauen Steine des neuen Heiligtums ließen die früheren Bluestones klein erscheinen. Plan und Ausführung übertrafen alles, was es bis dahin auf der Insel gegeben hatte.
D ER H ENGE
    2000 v. Chr.
Es waren noch einige Stunden bis zur Morgendämmerung. In der Mitte des großen Tempels von Stonehenge erwarteten die sechs Priester voller Spannung ihre Befehle; der Hohepriester hatte lange nicht mehr gesprochen.
    Die ehrfürchtig auf ihren Plätzen verharrenden Priester trugen lange Gewänder aus ungefärbter Schafwolle, die Füße steckten zum Schutz gegen die Kälte in klobigen Lederstiefeln, und ihre Köpfe waren bis auf einen V-förmigen Haarkeil, dessen Spitze zwischen die Augen zeigte, kahlgeschoren. Jeder Priester hielt zwei oder drei lange spitze Stäbe.
    Außer den Priestern befand sich noch ein Mensch im Henge: Unter dem Torbogen lag ein junger Verbrecher, der bei Tagesanbruch dem Sonnengott geopfert werden sollte. Er war mit starken Lederriemen gefesselt, und die Furcht hatte ihn längst verstummen lassen. Dluc, der Oberpriester, schien keinen von allen wahrzunehmen. Seine große, schlanke Gestalt im langen, grauen Gewand stand bewegungslos wie ein Stein.
    In der Rechten hielt er den Zeremonienstab, dessen bronzene, goldverzierte Spitze die anmutige Form eines Schwans hatte: das Symbol des Sonnengottes. In seiner Linken ruhte ein großes Knäuel Flachs. Das hagere, glattrasierte Gesicht war unbewegt, die Augen hielt er auf einen fernen Punkt am Horizont gerichtet. Er hatte allen Grund zur Sorge. Seit einiger Zeit stand es außer Frage: Wenn die Götter nicht versöhnt werden konnten, war Sarum mit seinem geheiligten Boden dem Untergang preisgegeben. Doch wie konnte er dies abwenden? Wieviel Zeit blieb ihm?
    »Wenn Krona jetzt krank wird…« murmelte er vor sich hin. Es war ein schrecklicher Gedanke.
    Doch in dieser Nacht galt es, noch viel Arbeit

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