Sarum
die Kinder blieben bei Frances Porteus. Ralph war guten Mutes. »Der alte Stockfisch wird schon darüber wegkommen«, meinte er beim Abendessen zu Barnikel. Aber der Doktor war nicht so zuversichtlich. »Ihr solltet Euch bei ihm entschuldigen«, drängte er ihn.
Ralph lehnte lächelnd ab. »Müßte er sich nicht auch bei mir entschuldigen?«
»Vielleicht. Aber Ihr habt ihn herausgefordert.« Ralph tat wie gewöhnlich seine Arbeit in der Schule. Er nahm diesen Zwischenfall nicht allzu ernst.
Drei Tage später kam die Vorladung, und zwar in das Haus des Lord Forest.
Forest hatte sich seit der Zeit, als Adam Shockley ihn kannte, erstaunlich wenig verändert. Er war nun ein alter Herr, aber immer noch von stolzer Haltung und feinster Lebensart. Er besaß jetzt ein weiteres geräumiges Haus außerhalb von Manchester, die Villa nördlich von Wiltshire und das Haus in Salisbury. Doch drei Monate im Jahr verbrachte er weiterhin in Sarum.
Ralph kam es so vor, als wäre Lord Forest alterslos und zeitlos. Er war gespannt, was er mit ihm vorhatte.
Ein Lakai führte ihn in einen kleinen Raum, von dem aus man in die Gärten hinter dem Haus blickte. Es war das Arbeitszimmer des Lords, der grauhaarig, schmal und aufrecht vor dem Kamin stand. Neben ihm stand Kanonikus Porteus.
Forest begrüßte ihn liebenswürdig und bot den beiden Herren Stühle an, während er stehenblieb. Er kam sofort auf die Sache zu sprechen.
»Ihr wißt, wie lange Eure Familie bereits mit uns in Verbindung steht«, begann er freundlich, »und deshalb wißt Ihr auch, daß meine Fragen keinerlei böse Absicht verfolgen. Weiterhin ist Euch bekannt, daß ich Direktor Eurer Schule bin.«
Ralph hatte das vergessen. Es war nur eine kleine Privatschule, wovon in den vergangenen Jahren einige in Salisbury entstanden waren, während die Schule der Chorsänger etwas an Bedeutung verloren hatte. Die Tatsache, daß es theoretisch überhaupt ein Direktionskomitee gab, hatten die Schule wie auch die Direktoren selbst, darunter Forest und der alte Bischof, fast vergessen. Fünf Jahre zuvor hätte er die Schule kaufen können, wenn Porteus ihm das Geld vorgeschossen hätte, aber obwohl Frances die Idee begrüßt hatte, hatte der Kanonikus sich geweigert. Ralph blickte Forest an und überlegte, was nun folgen werde. »Ich höre, daß Ihr gewisse Standpunkte vertretet, radikale Standpunkte«, sagte der Lord.
»Wie zum Beispiel die Reform der Rotten Boroughs? Und daß ich Mr. Fox stütze – meint Ihr etwa das?« Forest verbeugte sich belustigt.
»Ich habe die Ehre, Mr. Fox sehr gut zu kennen«, antwortete er sanft. Der Kanonikus blickte entgeistert drein. »Trotzdem stimme ich nicht im geringsten mit ihm überein.« Er sah Ralph nachdenklich an. »Vertretet Ihr auch republikanische Ansichten?«
»Das ist meine Privatangelegenheit«, schnappte Ralph. »Ganz recht. Und das sollte auch so bleiben, meine ich«, erwiderte Forest gelassen.
Porteus runzelte die Stirn. Ralph sah die beiden an. »Ist das alles?«
»Fast.« Forest blickte einen Augenblick zur Decke hoch. »Es sind schwierige Zeiten, Mr. Shockley«, fuhr er fort. »Die Gefahr einer französischen Invasion ist immer gegeben. Unter solchen Umständen muß ein Mann sich, unabhängig von seiner Meinung, klug verhalten. Könnt Ihr mir versichern, daß Ihr, gleichgültig, welche privaten Ansichten Ihr vertretet, diese in keiner Weise vor Euren Schülern äußern werdet? Ihr wißt wohl, wie ich das meine.«
Das wußte Ralph wirklich. Er hatte auch nie, wenn er sich recht erinnerte, versucht, seine Schüler zu seinem Standpunkt zu bekehren. Unter normalen Umständen hätte er das sofort zugesagt, doch es war Porteus’ Anblick, wie er ihm so selbstgefällig gegenübersaß, sein eigener Schwager, der sich offenbar all dieser Mühe unterzogen hatte, um ihn zu demütigen – das versetzte Ralph in Wut.
»Ihr meint also, daß ich lügen sollte, wenn ich nach meiner Ansicht gefragt werde?«
Nun platzte Porteus der Kragen. »Das bedeutet, mein Lieber, daß du deine aufrührerischen Gedanken für dich behalten wirst! Daß du nicht versuchen wirst, die Gemüter deiner Schutzbefohlenen mit deinen niederträchtigen Ideen zu verseuchen!«
»Genug, Porteus«, mischte Lord Forest sich ruhig, aber bestimmt ein. Ralph war blaß vor Zorn – dies war genau der Despotismus, den er verachtete. »Ich bin nicht verpflichtet, irgendwelche Versprechungen zu geben«, antwortete er empört. »Ha!« schrie Porteus in wütendem
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