Sarum
Luftwaffenstützpunkte ausgemacht. Dann wäre der Aufklärer weiter über Fordingbridge, Downton bis zur Ebene von Salisbury geflogen, wo, wie die gespreizten Finger einer Hand, fünf Flüsse zusammentrafen. Das wäre ein ideales Angriffsziel gewesen, denn dieser Punkt auf der Landkarte war jedem Angehörigen der deutschen Luftwaffe wohlbekannt. Das Muster der fünf Flüsse war auch bei Sternenlicht aus großer Höhe zu erkennen. Normalerweise war Sarum der Zielpunkt der Bomber auf ihren todbringenden Unternehmungen, wenn sie von Westen kamen und sich an den fünf Flüssen wie an einem Kompaß orientierten, um von dort abzudrehen und den Hafen von Bristol oder die Midland-Städte Birmingham und Coventry anzugreifen.
Fast wäre auch Salisbury ihr Ziel gewesen, doch die Luftangriffe auf englische Kathedralen wurden nach der Zerstörung der Kathedrale von Coventry abgeblasen, und die Einwohner von Sarum ahnten nicht, daß sie noch einmal davongekommen waren.
Die Anhöhen der Ebene von Salisbury waren seit etwa vierzig Jahren Truppenübungsgebiet. Es gab dort mehrere Heeresstützpunkte. Doch nur im Tiefflug hätte das Flugzeug das wirkliche Geheimnis des Areals entdecken können. Da die Offensive so nahe war, gab es kaum irgendwo in England ein größeres Aufgebot an Truppen und Kriegsmaterial als in Sarum. Über die ganze Ebene nördlich von Alt-Sarum verteilt, waren getarnte Lastwagen in Bereitschaft, Tanks, Transporter für Waffen und Personen, Jeeps – die Fahrzeuge parkten reihenweise unterhalb der Abhänge, neben Bäumen, entlang den unbeschnittenen Hecken. Englische, australische, kanadische und amerikanische Soldaten schwärmten durch die verschlafene alte Stadt. Sarum war zum erstenmal eines der größten Militärlager Europas.
Leutnant Adam Shockley, Pilot der Staffel 492 des 48. Jagdgeschwaders, nahm am Vormittag den Bus von Ibsley nach Salisbury. Er freute sich über seinen freien Tag. Nach ihrer Ankunft Ende März hatten sie eine intensive Bomberausbildung erhalten. Und nun flog die Staffel mit den beiden anderen in Ibsley stationierten fast täglich einen Einsatz nach Nordfrankreich und griff Radarstationen, Fliegerhorste und Brücken an. Die Angriffe dauerten mit unverminderter Härte an. Shockley wußte, daß die Invasion nicht mehr fern sein konnte. Er wußte nichts von der Stadt Salisbury mit ihrer grautürmigen Kathedrale und dem merkwürdigen Erdwall – er kannte nur das, was er aus der Luft gesehen hatte.
Der Bus fuhr langsam. Shockley wäre lieber per Anhalter gefahren. Unglaublich, daß diese Straße, auf der knapp zwei Wagen aneinander vorbeikamen, als gute Landstraße ausgewiesen war. Sie fuhren durch Downton und kamen nach einigen Meilen in eine Senke. Zur Rechten sah er eine Mauer, die wahrscheinlich zu einem großen Besitz gehörte. Er grinste. Er kannte diese Steinmauern, die um alte Besitzungen errichtet waren, von zu Hause in Philadelphia. Diese englischen Mauern halten einem wirklich die Leute von Leib, dachte er. Dann sah er den Turmhelm. Kurz darauf blickte er über den weiten Talgrund auf die friedliche alte Stadt.
Der Stabsoffizier Archibald Forest-Wilson lehnte sich auf dem hinteren Sitz des kleinen Morris zurück, der ihm an diesem Morgen als Stabswagen diente; mit halb geschlossenen Augen betrachtete er den Nacken der hübschen jungen Frau, die ihn chauffierte. Es war viel los an diesem Tag, und Fahrzeuge waren knapp, so daß die gutgekleidete Freiwillige des weiblichen Hilfsdienstes auf eine Methode, wie sie zu Kriegsbeginn praktiziert worden war, zurückgegriffen und ihren eigenen Wagen zur Verfügung gestellt hatte.
Der Verband des weiblichen Hilfsdienstes hatte ziemlich viele Mitglieder, aber diese Frau hatte den Offizier schon oft zwischen den verschiedenen Lagern auf der Salisbury-Ebene hin- und hergefahren, und er hatte ihr helles Haar und die auffallend blauen Augen immer mit Wohlgefallen betrachtet.
Nun fuhren sie die lange, tunnelartige Straße nach Wilton entlang. Archibald lächelte über den Anblick vor sich.
Der Offiziersclub in Wilton war etwas Besonderes. Trotz der Rationierung gab es geheimnisvollerweise immer Whisky und Steaks. Der D-Day stand kurz bevor. Archibald würde natürlich nicht dabeisein, denn man hatte ihn zum Stab versetzt. Er wußte nicht, ob er darüber froh oder traurig sein sollte. Er hatte seine Karriere umsichtig geplant: Normalerweise wußte er immer, woher der Wind wehte. Eine Zeitlang war er bei den Grenadieren, dann ließ er sich
Weitere Kostenlose Bücher