Sarum
Speere, Pfeile und geschleuderte Steine der Verteidiger an den Schilden abprallten. Eine zweite und dritte Zenturie folgten unmittelbar darauf.
Unaufhaltsam zog diese Menschenmaschine vorwärts. Da öffnete sich der Panzer aus Schilden blitzschnell, und die Pila – die Wurfspeere der Römer – schossen heraus. Im Nahgefecht konnte so ein Pilum ein tiefes Loch in einen menschlichen Schädel bohren. Jeder, der sich näher heranwagte, erhielt einen harten Schlag mit den kurzen, flachen Schwertern der Legionäre. Die Römer marschierten innerhalb der Wälle und über das offene Gelände am Fuß des Hügels vorwärts, während sich die tapferen Durotrigen an dem Metallpanzer aufrieben.
Am Nachmittag war, wie Vespasian es vorausgesagt hatte, die gesamte Festung geräumt. Die Römer holten die Vorräte aus den Lagerhäusern und die Boote aus dem Hafen. Der Münzmeister hatte eben noch Zeit, die Silbermünzen in seiner Hütte zu vergraben, bevor die Soldaten kamen und ihn töteten. Diesen Schatz sollten Archäologen fast zweitausend Jahre später finden.
Die Streitmacht, die drei Tage nach der Eroberung des Hafens in Sarum eintraf, war eine Vexillatio – das Sonderkommando einer Zenturie unter ihrem Zenturio mit zwei Vorreitern und einer Wurfmaschine. Als Tosutigus das Nahen der Römer beobachtete, bemerkte er eine einzelne Gestalt, die vor der Kolonne herritt.
Die Düne war bereit. Erst wenige Augenblicke zuvor hatte man Aflek an der Nordseite, die von den Römern nicht eingesehen werden konnte, gefesselt abgeführt. Der Druide hatte noch seinen Fluch über den jungen Herrscher ausgesprochen. »Mögen die Götter sich von dir abwenden, Tosutigus, so wie dies die anderen Stämme tun werden. Sei gewarnt! Du hast deinen Eid vor dem König gebrochen, und von heute an wird dich jeder ›Tosutigus den Lügner‹ nennen.«
Diese Voraussage bewahrheitete sich; für den Rest seines Lebens wurde er von jedem Kelten auf der Insel mit diesem Namen angesprochen. Das kümmerte Tosutigus aber nicht weiter; er hatte bereits neue Pläne für Sarums Zukunft. Seine Ideen verrieten zwar den jugendlichen Hitzkopf, enthielten jedoch durchaus Vernünftiges.
In den Jahren 43 und 44 n. Chr. waren die Stammeshäupter auf der gesamten Insel vor eine höchst schwierige Entscheidung gestellt. Widersetzten sie sich den Römern, stand ihnen die wahrscheinliche Niederlage mit anschließender Besatzung bevor. Machten sie jedoch die Sache des Imperiums zu ihrer eigenen, erwies sich Rom bekanntermaßen als großzügig: Aus der klugen imperialen Politik jener Jahre gingen einige Stammesführer als recht wohlhabende unabhängige Vasallenkönige hervor, denen kostspielige Villen erbaut und deren Kinder nach dem Vorbild römischer Adliger erzogen wurden. Innerhalb von ein bis zwei Generationen wurden diese Kleinkönige zu Provinzaristokraten, deren Autorität von den Beamten anerkannt wurde, und ihre Königreiche wurden stillschweigend in die Gesamtheit der römischen Provinzen eingegliedert.
Der junge Herrscher war klug genug, um zu wissen, daß er Sarum gegen das mächtige Rom nicht halten konnte. Und es war abzusehen, daß auch die Durotrigen besiegt wurden. Wie konnte er also überleben? Nur indem er den mächtigen Durotrigen gegenüber eine scheinbare Loyalität aufrechterhielt, bis er sie gefahrlos sich selbst überlassen und sein eigenes Schicksal Rom überantworten konnte. Das hatte er insgeheim vor, seit Claudius gelandet war.
Schließlich war er ein Kelte, der Latein sprach und zur Loyalität Rom gegenüber bereit war, und nicht ein Durotrige, der das Imperium haßte. Er konnte also dem Statthalter durchaus von Nutzen sein. Manchmal stellte er sich vor, der dankbare Kaiser würde ihn beauftragen, über den mächtigen alten König der Durotrigen zu herrschen. Zuletzt wollte er dann um die Aufsicht über den Hafen bitten, die seine Familie in früherer Zeit innegehabt hatte. Nun endlich war der Augenblick gekommen. Um die Römer von seiner Autorität zu überzeugen, befahl Tosutigus alle Männer und Jungen auf die Wälle. Sie würden einen eindrucksvollen Anblick bieten. Die römischen Truppen machten vor dem Tor halt. Die Legionäre blickten neugierig an den hohen Kreidewällen der Düne hoch. Der Vorreiter war abgestiegen und suchte offensichtlich die Verteidigung nach schwachen Stellen ab.
Dies war der entscheidende Moment in Tosutigus’ Plan. Er stieg vom Wall herab und befahl: »Öffnet die Tore!«
Daraufhin ging er allein, gemessenen
Weitere Kostenlose Bücher