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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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die Insel herrschten, ohnehin ausgerottet werden würden.
    Als Tosutigus von der Düne herabgekommen war, hatte Vespasian ihn sofort durchschaut: ein junger Provinzherrscher – erwartungsvoll, ehrgeizig und offensichtlich ohne jede wirkliche Macht. Es belustigte ihn, daß der junge Stammesfürst auf seinem schönen Pferd ihn mit seinem unzulänglichen Latein beeindrucken wollte. Auf dem Rückweg zur Düne wandte er sich plötzlich mit der Frage an ihn: »Und was erwartest du von Rom, Tosutigus?«
    Der junge Mann war überrascht. Eine so direkte Frage hatte er nicht erwartet, aber er faßte sich schnell und hatte seine Antwort bereit: »Ich möchte Vasallenkönig werden, Vespasian, und römischer Bürger.« Er hätte hinzufügen können: »Auch Senator«, denn es war bekannt, daß den Vasallenkönigen im Imperium manchmal diese Ehre zuteil wurde und sie von den größten Männern Roms als Ebenbürtige behandelt wurden. Nichts wäre ihm lieber gewesen.
    »Du möchtest Vasallenkönig werden?« Vespasian staunte; wie eitel und ehrgeizig dieser törichte Bursche war! »Was willst du weiter?« fragte er.
    Im Glauben, Vespasian nehme ihn ernst, fuhr Tosutigus eifrig fort: »Gib mir den Hafen, den die Durotrigen meiner Familie gestohlen haben; ich kann dort großen Gewinn machen.« Das mochte den Tatsachen entsprechen, doch interessierte es den Feldherrn herzlich wenig, der merkte, daß der Kelte darauf brannte, weitere Bitten zu äußern. Ohne Tosutigus spüren zu lassen, daß er durch seine Fragen nur ein grausames Spiel mit ihm trieb, fuhr er fort: »Und was noch?«
    Monatelang hatte Tosutigus seinen großartigen Plan ausgearbeitet; er hatte sogar überlegt, wie er dem Statthalter das Thema nahebringen wollte; und jetzt, vom scheinbaren Interesse des Feldherrn beflügelt, jenes Mannes, der im Begriff stand, die mächtigen Durotrigen zu vernichten, und der mit Sicherheit das Vertrauen des Statthalters genoß, ließ Tosutigus jegliche Vorsicht außer acht. Umständlich zog er eine Pergamentrolle aus seiner Tunika. Es war ein Schreiben an den Statthalter Aulus Plautius, das Ergebnis endloser Nächte und geheimer Entwürfe. Dies war der Plan, Sarum wieder zur Größe zu verhelfen. Der Brief war noch unversiegelt. »Lies das«, sagte er stolz.
    Vespasian las, zuerst grimmig-belustigt, schließlich staunend. In einem Latein und in einer Schrift, die jedem römischen Schuljungen lautes Gelächter entlockt hätte, offenbarten sich Tosutigus’ Gedankengänge – seine große Idee für die Neuorganisation des Südwestens der Insel, ganz auf seinen persönlichen Vorteil abgestellt. Der glühenden Ergebenheitsfloskeln und absurden Liebedienerei entkleidet, hieß das nichts anderes als: Tosutigus ist Rom treu ergeben. Laßt ihn über das Land der Durotrigen herrschen, und ihr werdet eure Wahl sicher nie bereuen.
    »Die Durotrigen hassen die Römer«, erklärte Tosutigus erregt. »Sie werden um ihr Leben kämpfen, und auch wenn ihr sie besiegt – keiner ihrer Herrscher wird euch gegenüber loyal sein. Ihr habt nur Schwierigkeiten mit ihnen. Aber ich bin Kelte«, fuhr er fort. »Ich bin mit diesen Durotrigen und ihren Machenschaften vertraut, und außerdem bin ich Rom treu ergeben. Ich könnte ihre Länder als euer Vasall verwalten – oder zumindest einen Teil davon«, fügte er hoffnungsvoll hinzu. So war das also. Vespasian war überrascht von dem ehrgeizigen Traum dieses vermessenen Burschen: Er enthielt zugegebenermaßen eine gewisse Logik, war jedoch völlig wirklichkeitsfern – durch und durch der Plan eines Phantasten. Wenn die Durotrigen zu stolz waren, sich Rom zu unterwerfen, bestand schon gar keine Aussicht, daß sie diesen unbekannten jungen Herrscher, der seine eigene Festung verraten hatte, als König anerkennen würden. Die Idee war absurd. Im Innersten wußte Tosutigus es selbst; aber das Spiel war einen Versuch wert. »Ich werde dem Statthalter deinen Brief überbringen«, antwortete Vespasian ernst.
    Er hatte bereits entschieden, wie er den törichten jungen Kelten an seiner Seite ausnützen wollte, und jetzt führte er listig das Thema ins Feld, um das es ihm wirklich ging. »Wenn du Vasallenkönig werden möchtest, mußt du nicht nur die Gunst des Statthalters gewinnen«, sagte er. »Du mußt auch dem Kaiser selbst deine Loyalität beweisen. Claudius beeindrucken Taten, nicht Worte.«
    Vespasian wußte wohl, was Claudius von seiner neuen Provinz erwartete. Der lahme Kaiser hatte seine Wünsche deutlich

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