Sascha - Das Ende der Unschuld
schwand.
Gerade wollte er aussteigen, als Sascha die Augen öffnete. Sein Blick fiel auf Claus, der mit einem Bein schon im Freien stand und er griff nach ihm. Seine Finger krallten sich in den gestrickten, teuren Rollkragenpulli.
„Geh nicht wieder weg. Bitte bleib’ bei mir. Wir lieben uns doch, du kannst mich nach allem nicht mehr allein lassen. Wir gehören ganz sicher zusammen, weißt du das denn nicht?“
Claus wurde zurückgerissen und landete wieder im Sitz. Er konnte sich das, was Sascha da sagte, nicht erklären. Schließlich hatte er keine Ahnung davon, dass sich der ihm noch fremde junge Mann in den letzten Tagen derart in seiner Sehnsucht nach ihm verfangen war, dass er nun in diesem Zustand Wirklichkeit und Einbildung nicht mehr auseinander halten konnte.
Sascha schaute ihn auch weiterhin mit seinem durch den Alkohol umnebelten Blick an, ohne ihn loszulassen. Dabei hatte er Mühe, den anderen zu fixieren. Immer wieder verlor er ihn aus dem Blickfeld und seine Augen erinnerten zeitweise an Glasmurmeln.
„Ich bleibe, ist schon gut. Du musst keine Angst mehr haben. Ich bin da.“
Vorsichtig hob Claus seine Hand, er wollte keinen Fehler machen. Aber Sascha ließ sich in den Arm nehmen und eine Weile saßen sie einfach so da. Eine Gänsehaut überlief Claus, nie hätte er zu hoffen gewagt, dass es dazu kommen würde. Es kostete ihn einige Überwindung, sich schließlich doch loszumachen:
„Komm, lass uns hineingehen. Es wird kalt hier draußen. Du kannst in einem der Gästezimmer schlafen.“
Einen Moment schwiegen beide, dann machte Claus den Anfang. Er stieg aus und kam auf die Beifahrerseite. Er öffnete die Tür und erwartete, dass Sascha ausstieg. Beinahe rechnete er damit, dass sein mehr oder weniger unfreiwilliger Besucher sich nun doch weigern würde, aber dann krabbelte dieser umständlich vom Beifahrersitz und bemühte sich, so gerade wie möglich zum Haus zu gehen,.
„Setz dich einen Moment“, sagte Claus und versuchte, nicht zum Bild seiner Eltern aufzuschauen, als sie in der Halle standen.
Er ging die Treppe hinauf und richtete eines der vier für Gäste vorgesehene Zimmer. Als er zurückkam, saß Sascha zusammengesunken vor dem kalten Kamin und zitterte, während er sich kaum wach halten konnte.
„Kommst du?“
Claus stützte Sascha, musste ihn teilweise die Treppe hinauftragen, weil dessen Füße ihren Dienst versagten. Er ließ ihn im Zimmer auf das Bett gleiten und zog ihm die Schuhe aus. Sascha ließ sich einfach nur nach hinten fallen und blieb mit geschlossenen Augen quer über dem Bett liegen.
Claus änderte nichts an seiner Lage, er empfand eine gewisse Scheu, den jungen Fremden in dieser Situation zu berühren. Er deckte ihn lediglich zu und verweilte noch einen Moment neben ihm. Er schaute in das knabenhafte Gesicht vor sich.
Er fragte sich, warum ein so junger, für ihn bildhübscher Mann, der mit Sicherheit nicht nur ihn faszinierte, derart verzweifelt sein konnte. Wer konnte es übers Herz bringen, ihn zu verletzten? Ungern riss er sich von dem Anblick los, versicherte sich noch einmal, dass Sascha gut zugedeckt war und schlich leise aus dem Zimmer.
Draußen erst kam ihm die ganze Tragweite des Geschehenen zu Bewusstsein. Was hatte er da angefangen, wie sollte es weiter gehen? Fest stand, dass dieser junge Mann ein offenkundig nicht nach Wunsch verlaufendes Leben hatte und kein von ihm formbares Modell war. Natürlich wollte er ihm helfen, aber was würde ihn diese seine Hilfsbereitschaft kosten? Claus war schon aufgrund seines Alters nicht mehr naiv genug, zu glauben, dass die unterschwelligen Wunschträume der letzten Tage sich nun realisieren ließen.
Er ging zurück in die Halle und nahm sich einen Cognac. Dabei konnte er nicht verhindern, dass sein Blick auf das Bild seiner Mutter fiel. Sofort glaubte er wieder, ihre Vorwürfe zu hören. Diesmal jedoch begann er nicht, ihren imaginären Vorhaltungen zu widersprechen und sich in dieser Weise eigentlich nur vor sich selbst zu rechtfertigen.
Er trank entgegen seiner Gewohnheit das Glas im Stehen aus, löschte das Licht und ging im Dunklen hinauf in sein Schlafzimmer. Er legte sich ins Bett und begann in der Bibel zu lesen. Wie so oft vertiefte er sich ins Buch Hiob und glaubte, dort eine Erklärung für sein Verhalten zu finden, das auch den bohrenden Fragen seiner Mutter standgehalten hätte. Er wollte dem Jungen helfen, wie auch Hiob als Leitbild für Uneigennützigkeit jedem geholfen hatte, dem es nicht
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