Sascha - Das Ende der Unschuld
ließ.
Irgendwie glaubte er, sein Gegenüber vermied es, ihn direkt anzusehen. So trank er seinen Kaffee und suchte fieberhaft nach einem Gesprächsthema. Sein Kopf war jedoch leer, nicht einmal die trivialste Phrase fiel ihm ein. Dafür begann Claus nach einer Weile:
„Sie werden sich fragen, wer ich bin. Mein Name ist Claus David, ich sah mich gestern veranlasst, Sie aus einer unangenehmen Situation zu befreien. Ich hoffe sehr, dass es Ihnen heute besser geht ...“
An diesen Einleitungssatz anknüpfend erzählte Claus von den Vorfällen in der Nacht. Sascha hörte zu und merkte, dass er tatsächlich noch rot werden konnte.
„Oh ... das hatte ich vergessen. Es tut mir Leid, ich wollte Ihnen keine Umstände machen. Habe ich mich denn sehr blöd angestellt?“, antwortete er deshalb vorsorglich.
„Nein. Keine Angst. Sie haben mich wahrscheinlich nur mit jemandem verwechselt. Sie sagten sehr nette Dinge zu mir. Ich fand es eigentlich nur schade, dass Sie nicht wirklich mich meinten.“
Claus erschrak noch während dieses gewagten Vorstoßes über seine eigene Courage. So hoffte er, Sascha habe nicht zugehört. Aber dieser hatte ihn genau verstanden. Einen Moment überlegte er angespannt. Es war jedoch sinnlos, er wusste rein gar nichts mehr von der letzten Nacht. Trotzdem gab ihm der letzte Satz Auftrieb, er wurde mutiger. Nachdem er Claus jetzt endlich auch über seine eigene Identität aufgeklärt hatte, fuhr er fort:
„Was habe ich denn genau zu Ihnen gesagt?“
„Sie hielten mich augenscheinlich für ihre ... ihre Freundin. Wahrscheinlich habe ich mich zu mütterlich um sie bemüht, als dass sie in mir einen Mann sehen konnten. Die Fürsorglichkeit ist scheinbar leider noch immer eine weibliche Domäne.“
Erst während er dies aussprach, war sich Claus darüber bewusst geworden, dass er trotz Saschas durch dessen zartgliedrigen Körperbau begünstigter leicht femininer Ausstrahlung nicht sicher wusste, ob dieser wie er selbst Männer bevorzugte. Außerdem würde es ihm natürlich auch bei Bestätigung seiner Vermutung nicht möglich sein, in dieser Umgebung und vor einem ihm noch Fremden von seiner eigenen Veranlagung zu sprechen. Sascha für seinen Teil spürte, dass ihm erneut das Blut in den Kopf stieg. Da hatte er ja einen sensationellen Einstand gehabt. Er schwieg und trank seinen Kaffee aus. Dann stand er plötzlich überhastet auf und sagte:
„Ich muss jetzt gehen.“
Überrascht erhob auch Claus sich.
„So schnell? Wollen Sie nicht doch etwas essen? Sie sehen aus, als ob Sie etwas Nahrhaftes zu sich nehmen sollten.“
„Nein danke. Es ist außerdem nicht so, als ob ich zu Hause nichts zu essen habe. Außerdem kocht meine Frau gut.“
Sascha wollte unter gar keinen Umständen den Eindruck machen, dass er irgendwelche Probleme hatte. Weder familiär noch finanziell sollte sein offensichtlich wohlhabendes Gegenüber irgendwelche negativen Schlüsse ziehen. Er wusste selbst nicht, warum er deswegen vorgegeben hatte, er lebe mit Stefanie zusammen. Wahrscheinlich glaubte er nur auf diese Weise verhindern zu können, dass Claus annahm, er sei ein in Schwierigkeiten geratener Niemand, der seine Probleme im Alkohol ersäufen musste. Sascha ahnte dabei nicht, welchen Aufruhr er durch jene scheinbar leicht dahingesagte Äußerung in dem Älteren verursachte. Aber Claus ließ sich seine Enttäuschung in keiner Weise anmerken.
Sascha schob, um seine momentane Verlegenheit zu verbergen, den Stuhl mit größter Sorgfalt Richtung Tisch und verabschiedete sich aus der Ferne, um aus dem Speisezimmer und durch die Halle zur Eingangstür zu gehen. Dort hatte Claus ihn eingeholt. Sie gaben sich die Hand und es folgte ein etwas hölzern wirkender Dank von Sascha.
„Das habe ich gern gemacht. Ich möchte Ihnen sagen, dass ich ... ich meine, Sie können mich anrufen, wenn Sie wieder einmal in eine Notlage geraten sollten.“
Claus reichte Sascha eine Visitenkarte. Er hatte plötzlich Angst, dass die unverhoffte Begegnung gleich wieder im Sande verlief. Und das, obwohl er jetzt annehmen musste, Sascha sei heterosexuell und lebe mit seiner Frau zusammen. Letzterer schaute auf die kleine Karte.
„Sie sind Arzt?“
„Nein. Ich studierte Theologie und Philosophie, ehe ich vor achtzehn Jahren in die Werbung ging. Das damals angestrebte Priesteramt war dann doch nicht ganz das, was ich mir vorstellte. Ich bin wie schon mein Vater mit Leib und Seele Geschäftsmann, beinahe alles andere kommt dabei zu kurz.
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