Sascha - Das Ende der Unschuld
immer alles besser. Schließlich redest du immer davon, dass wir zu wenig Geld haben. Wie hätte ich das ahnen sollen, er schien nett zu sein.“
„Blablabla. Das war ein Freier und Freier sind nun einmal nicht nett. Begreife das endlich, du kannst ihnen nicht vertrauen. Sie grinsen dich an und im ersten unkontrollierten Moment fallen sie über dich her. Dabei ist es ihnen egal, ob du drei oder zwanzig Jahre alt bist.“
„Du bist ein toller Freund. Warum gibst du mir jetzt die Schuld? Ich bin eben noch nicht so lange im Geschäft wie du. Ich bin kein cleverer Stricher, wahrscheinlich werde ich das nie sein.“
Sascha warf sich auf den Bauch und vergrub bockig sein Gesicht im Kissen.
„Dann wirst du draufgehen. Hör auf mich, Sascha. Ich weiß, wovon ich rede. Außerdem bist du überhaupt noch nicht im Geschäft. Du hast keine Ahnung davon, benimmst dich wie ein Kind.“
Sascha fuhr aus den Kissen hoch und sah Marc mit Tränen in den Augen an:
„Aber, eigentlich bin ich das doch auch.“
✵
Das Ereignis hatte vorläufig vor allem eines zur Folge. Sascha traute sich nicht mehr zum Bahnhof, verbrachte viel zu viel Zeit in dem Zimmer, das ihn immer noch an den Tod des Mädchens erinnerte. Meistens war er allein, kapselte sich allen anderen gegenüber mehr und mehr ab.
Nicht einmal Marc ließ er an sich heran, seine Gedanken waren ständig damit beschäftigt, wie und wo es einen Ausweg aus seinem Dilemma gab. Aber er fand keinen und merkte auch nicht, dass sein Verhalten ihn immer mehr in die Isolation trieb. Eigentlich benahm er sich jetzt genau wie bei seinen Eltern, seine Reaktionen waren eindeutig vorwurfsvoll, obwohl unmöglich jeder, mit dem er Kontakt hatte, an seiner Situation Schuld haben konnte. Er unterdrückte die Gewissheit, dass es Marc war, der ihm mit dem Handel seines eigenen Körper dieses Einsiedlerleben ermöglichte.
Auch wenn dieser mehr als einmal versuchte, mit ihm zu reden, hatte Sascha vollkommen dicht gemacht. Er wollte mit nichts und niemanden mehr etwas zu tun haben. Nur so, daran glaubte er fest, konnte er verhindern, dass ihm noch einmal jemand weh tat, ob nun mental oder physisch.
Es kam außerdem immer öfter vor, dass sich Marcs Hilflosigkeit Saschas Rückzug gegenüber ebenfalls in Aggression verwandelte. Er warf ihm immer gereizter vor, auf seine Kosten zu leben und sich nicht einmal Gedanken darüber zu machen. So kam es auch zum folgenden, vorerst letzten Streit. Marc fühlte sich in die Enge gedrängt, die Verantwortung für Sascha und das schlechte Gewissen, ihn hier hergeholt zu haben, erdrückten ihn beinahe.
„Wenn du fürs Faulenzen Essen und ein Bett haben willst, geh gefälligst zurück zu deinen Eltern. Die müssen dich unterhalten. Hier draußen gibt es nichts umsonst. Du benimmst dich wie ein Schnorrer. Aber so was brauche ich nicht. Wenn ich gewusst hätte, was für ein Säugling du bist, hätte ich dich nie hergeholt. Dann hätte ich nichts dagegen gehabt, dass dein Alter dich jeden Tag verprügelt, vielleicht hätte dich das ja erwachsener gemacht.“
Sascha schaute Marc an, seine Augen verengten sich zu Schlitzen aber es sah eher niedlich als drohend aus.
„Ich bin kein Säugling, ich will mich nur schützen. Das kannst du mir nicht vorwerfen. Lass mich doch in Ruhe, du Arschloch. Ich brauche dich nicht.“
Durch Marcs bisherige Geduld fühlte Sascha sich im Recht. Natürlich wusste er nur zu genau, dass er ohne Marcs Hilfe nicht durchkam. Aber er glaubte, diese Schwachstelle könne er mit entsprechenden Diskussionen aus der Welt schaffen. Auch er spürte Marcs inneren Widerstreit, sein Schuldbewusstsein. Selbstverständlich ging Marc darauf ein.
„Du brauchst mich also nicht. Tatsächlich? Dann kann ich ja gehen, sieh doch zu, wie du fertig wirst.“
Damit ließ er Sascha allein.
„Geh ruhig. Du wirst schon sehen, ich schaffe es allein“, rief Sascha ihm hinterher.
Er starrte lange auf die zugeschlagene Tür und begann, am Sinn seines Ausbruches zu zweifeln. Was, wenn Marc ihn wirklich allein ließ? Dann jedoch beruhigte er sich selbst. Marc würde wiederkommen, er war immer zurückgekommen, egal, wie sehr sie sich gestritten hatten. Er war schließlich sein Freund und würde ihn nicht im Stich lassen.
Aber diesmal irrte er sich, Marc kam nicht. Es vergingen zwei Tage, in denen Sascha nichts von seinem Freund hörte. Auch die anderen, die sporadisch im Zimmer schliefen, wussten nichts von ihm. Saschas ständig vorhandene Angst steigerte
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