Sascha - Das Ende der Unschuld
weiteres Mal alle Brücken hinter sich abbrach. Wenn Sascha zurückkam, war die nächste Stufe erreicht, ihn von sich abhängig zu machen.
In der ersten Nacht in der Kölner Wohnung machte Sascha kein Auge zu, er wartete angestrengt auf den Augenblick, wenn in der Wohnung alles still sein würde. Das Zimmer wurde tatsächlich aufgeschlossen, aber seine Hoffnung, entwischen zu können erfüllte sich aufgrund der verriegelten Wohnung trotzdem nicht.
Am nächsten Tag blieb er freiwillig im Zimmer, ihm war schlecht vor Hunger, weil er einfach nichts essen konnte. Die schüchternen Versuche seiner Mutter, mit ihm ins Gespräch zu kommen, ignorierte er schlicht. Sein Vater stellte ihn zur Rede, als er an diesem Abend heimkam, aber Sascha schwieg weiter. Und so beschränkte Manfred sich darauf, ihm seine Zukunft in nicht gerade einladenden Farben zu schildern. Er sollte den Schulabschluss machen, dann in eine Handwerkslehre gehen. Daneben schreckte ein Hausarrest von nicht absehbarer Länge.
Er würde zur Schule gebracht und wieder abgeholt werden, die restliche Zeit hatte er zu Hause zu verbringen. Versuchte er erneut zu verschwinden, sollte sein kommendes Zuhause ein Heim sein, aus dem ein Entweichen nicht so einfach war. Noch während sein Vater ihn dahingehend belehrte, rechnete Sascha sich aus, dass er es erst gar nicht soweit kommen lassen durfte. Er musste sofort gehen, so schnell wie möglich. Und so wartete er die Nacht ab. Mittlerweile hatte er herausbekommen, dass der Hausschlüssel auf dem Nachtschränkchen seines Vaters lag, während dieser schlief.
Es gab keine andere Möglichkeit – er musste an das Teil herankommen. Erst als alles schlief, schlich Sascha Richtung elterlichem Schlafzimmer. Vorsichtig öffnete er die Tür, vernahm ein leises Quietschen und umgehend standen ihm die Haare zu Berge. Er glaubte eine kalte Hand strich über seinen Rücken und fror in der Bewegung ein. Seine Eltern weckte das Geräusch jedoch nicht und er ging nach der Schrecksekunde vorsichtig weiter. Das nächste Problem war das lautlose Aufnehmen des Schlüsselbundes.
Gedanken und Blick auf den in der Dunkelheit kaum zu erkennenden Schlüssel geheftet, wünschte er sich telekinetische Kräfte, die ihm den Gegenstand seines Wollens zufliegen ließen. Aber vorläufig blieben ihm nur die normalen Fähigkeiten, und wie in Zeitlupe tastete er sich heran. Er hörte die leisen Schnarchtöne seines Vaters und der Ton schwoll in seinem Kopf zum Orkan an. Er musste es schaffen, musste einfach zurück zu Adrian. Der Wunsch gab ihm die Kraft, den Schlüssel zu greifen und langsam anzuheben. Es klimperte leise, als das Metall zusammenschlug, Saschas Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Ganz fest umschlossen seine Finger das Objekt, welches ihm den Weg in die Selbstbestimmung aufschließen sollte und trat behutsam den Rückzug an. Leise schloss er die Schlafzimmertür hinter sich und ging in die Küche. Er wusste, seine Mutter bewahrte immer etwas Geld in einer Sammeltasse auf und genau diese suchte er jetzt. Er nahm von den dreihundert Mark lediglich hundert und das auch nur, um Fahrgeld zu haben. Dann konnte es eigentlich losgehen. Sascha schaltete ab, handelte nur noch. Er nahm eine trockene Scheibe Brot zwischen die Zähne, zog seine Jacke über und schlich zur Wohnungstür. Der Schlüssel drehte sich lautlos, er ließ ihn stecken und stand dann im Treppenhaus. Dort verzichtete er auf Licht und rannte, jetzt nicht mehr auf jedes Geräusch achtend, die Stufen hinunter. Noch einen Meter und er würde draußen stehen ...
Aber die Haustür war abgeschlossen, der Weg in Saschas vermeintliche Freiheit ein weiteres Mal versperrt. Er zerbiss einen wilden Fluch zwischen den Zähnen und hätte beinahe Zornestränen geweint. Aber er nahm sich zusammen. Noch war nicht alles verloren. Er hatte die Wohnungstür offen gelassen, um niemanden zu wecken. Das war jetzt sein Glück. Er musste hoch und den Schlüssel holen. Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet, sie machten sich selbstständig und die Feuchtigkeit brannte in seinen Augen. Er stand auf dem letzten Treppenabsatz, als ihm der Schreck wie Lava in die Glieder fuhr. Durch die Türöffnung fiel Licht, er hörte die Stimme seines Vaters. Sascha erstarrte zur Salzsäule, nur seine Reflexe reagierten, als er jetzt plötzlich Inge vor sich sah. Sie warf ihm den Schlüssel zu.
„Hau ab und lass dich nicht wieder erwischen. Ich brauche mein Zimmer selbst“, zischte sie für Sascha
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