Sasori, S: Schlangenfluch: Samuels Versuchung
über mich gebracht, ihn vom See fortzutragen.“ Raven warf den Motor an. „Der muss ins Warme, essen und dann in dein Bett. Und wehe, du musst pissen, wenn er morgen früh die Augen aufschlägt. Der wird irre, wenn er dich nicht sieht.“
Noch einmal klatschte der Handrücken seines Bruders auf Samuels Wange. Er spürte den Schmerz nicht. Er spürte nur den kalten, zitternden und viel zu mageren Körper, der sich mit ungeheurer Kraft an ihm festhielt.
„Warum bist du überhaupt zurückgekommen?“ Während Raven nach vorn sah, um das Boot zum Steg zu lenken, wischte er sich über die Augen. „Ich dachte, ich sehe dich in den nächsten Jahren nicht wieder.“
„Dir hätte ich mich gezeigt, Raven.“ Er war zurückgekommen, um sicherzugehen, dass Laurens bereits abgereist war, um sich dann von Raven retten zu lassen. In den letzen Tagen war er ständig an der Irrsinnsgrenze entlanggeschrammt. Wie egoistisch, wie abscheulich naiv von ihm. Dabei hätte er für Laurens da sein müssen. Aber er war vor Angst verzweifelt, dass Laurens nur noch das Monster in ihm sehen würde.
Raven nickte, sah aber weiter geradeaus.
„Es tut mir leid.“ Samuel sah zu Raven und schaukelte Laurens beruhigend in seinem Arm. Seine Worte waren an beide gerichtet. „Ich konnte doch nicht wissen …“
„Dass du geliebt wirst?“ Raven schnaubte verächtlich. „Hör auf, nur an dich zu denken, und übernimm Verantwortung für die Menschen, die mutig genug sind, dir ihr Herz zu schenken. Oder sollte ich sagen, verrückt genug?“
Das Boot schabte über den Sand, Raven sprang hinaus und half Samuel mit Laurens. „Wegen Wilson musst du dir keine Gedanken mehr machen.“ Nur kurz trafen sich ihre Blicke, dann ging Raven hoch zum Haus, und Samuel folgte ihm, Laurens fest an sich gedrückt. Alles, was wichtig war, hielt er in seinem Arm. Wie hatte er Laurens auch nur für einen Moment allein lassen können?
„Samuel!“ Erin kam angehuscht, schaute grimmig, dann verwirrt und schließlich verschwamm ihre Miene in Mitgefühl, als sie in Laurens bleiches Gesicht sah. „Willst du was essen, Junge?“
Laurens schüttelte den Kopf und vergrub sein Gesicht an Samuels Brust.
„Er ist zu erschöpft. Koch ihm einen Tee, ich kümmere mich um ihn und morgen wird er wieder essen. Versprochen.“
Schluchzend schlug Erin die Hand vor den Mund.
Raven legte den Arm um sie und führte sie in die Küche. „Halt ihn warm“, rief er über die Schulter, als Samuel schon auf der Treppe stand. „Ist er morgen nicht wieder auf dem Damm, geb ich dir die Schuld.“
Viel zu leicht ließ sich Laurens die Treppe hinauf tragen. „Ich werde dich mästen. Wie willst du mit mir tauchen, wenn du so dünn und klapprig bist?“
Ein mattes Lächeln strich über Laurens’ blasse Lippen, doch noch bevor er ihn ins Bett gelegt und zugedeckt hatte, schlief er schon.
*
Samuel war weg. Laurens schreckte hoch. Er lag im Bett, unter zwei Decken. Hatte er geträumt? Bitte nicht! Er war doch da gewesen, hatte ihn gerettet, ihn im Arm gehalten.
„Samuel!“ Widerliches Krächzen. Er versuchte es noch einmal. „Samuel!“ Er musste aus diesen Decken raus, musste Samuel suchen. Kaum stand er, wurde ihm schwindelig. Laurens hielt sich am Bettpfosten fest, bis sich das Zimmer nicht mehr um ihn drehte. Wie Pudding fühlten sich seine Beine an. Ein paar Schritte schaffte er, dann blieb sein Fuß an etwas hängen und er schlug der Länge nach hin. Er war über seine Reisetasche gestolpert, sie lag auf der Seite und seine Wäsche quoll zusammen mit einem grauen Shirt heraus. Auf der Vorderseite prangte ein großer Fleck. Dunkelbraun und trocken. „Samuel!“ Seine Kehle brannte, es wurde schlimmer, als die Tränen dazukamen. Er war weg. Wieder. Hatte ihn gerettet, um ihn allein zu lassen.
Auf der Treppe polterte es. Laurens knüllte den Stoff zusammen und presste ihn an sich. Lass es Samuel sein . Die Tür ging auf, Samuel rannte auf ihn zu, in der einen Hand eine dampfende Tasse, in der anderen eine Schüssel, die er achtlos vors Bett stellte.
„Ich bin da. Alles ist gut.“ Er hob ihn hoch und legte ihn zurück ins Bett. „Ich wollte dir nur was zu essen holen.“
„Geh nicht weg.“ Verdammt, Samuel verstand sicher kein Wort, aber das machte nichts. Er war da und setzte sich zu ihm, ganz nah. Laurens lehnte den Kopf an seine Schulter und versuchte, die Angst aus sich herauszuatmen. Statt der Angst verließen ihn Unmengen an Wasser. Es floss aus seinen Augen und
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