Sasori, S: Schlangenfluch: Samuels Versuchung
blutete.
„Nein!“ Nicht Laurens! Nicht er! Raven stürzte zum Käfig, fasste durch die Stäbe, versuchte, Laurens zu berühren.
„Dein Liebchen stirbt.“ Davenport lachte. Er durfte nicht lachen. Er durfte sterben. Jetzt. Nur ein Sprung, Samuel riss ihn von den Beinen, fasste seinen Kopf. Davenport kreischte. Kreisch weiter. Du weißt, was dir bevorsteht. Ein Knacken, ein Reißen. Schlaffe Arme fielen neben den kopflosen Körper.
Der Schädel rutschte Samuel aus der Hand. Raven keuchte, sah ihn an, als sähe er seinen Zwillingsbruder zum ersten Mal. Hinter ihm brüllte jemand. Tom.
„Still!“, donnerte Raven. „Oder willst du auch so enden?“ Tom schrie weiter. Samuel holte aus und schlug ihm mit der Linken ins verzerrte Gesicht. In breiten Fetzen blieb die Haut an den Schuppen hängen. Tom wurde weiß, sank zu Boden.
„Samuel!“ Wie ängstlich Raven klang. Hatte er vergessen, was sie beide waren? „Samuel! Sieh her! Laurens lebt!“
*
Der Kopf rollte auf den Käfig zu. Direkt vor den Stäben blieb er liegen und starrte Laurens an. Davenport. Wo war sein Rest? Er lag unter Samuel. Seinem Samuel, der fassungslos seine Hände anstarrte. Diese Hände kannten jede Stelle seines Körpers. Sie waren zärtlich, sanft. Und sie rissen Köpfe ab.
Raven kniete vor der Leiche, tastete die Taschen ab. Mit einem Schlüssel in der Hand kam er zu ihm. „Alles wird gut, Laurens. Ich hol dich da raus.“ Er zerrte am Schloss, kroch zu ihm und nahm ihn in den Arm. „Mann, hattest du ein Schwein, Kleiner.“ Das Messer trat er weg. Es hatte ihn nur gestreift. Raven tastete über die Wunde, die sich quer über Laurens Oberarm zog. Was scherte er sich um das bisschen Blut? Dieses Zelt quoll über davon. Der Boden, Toms Gesicht, Samuels Hände. Da spielte sein Arm keine Rolle. Er wollte Samuels Namen sagen. Es ging nicht. Seine Knie wurden weich, Raven fing ihn auf.
„Samuel, er lebt. Alles wird gut.“ Raven flehte, streckte die Hand nach seinem Bruder aus, aber Samuel sah nur zu Laurens, wartete. Auf was? Dass Laurens ihm auch die Hand reichte? Aber das war nicht Samuel. Das war ein Ungeheuer, das zwischen zerfetzten Leichen stand. Das Ungeheuer schlug die Augen nieder, drehte sich um und ging.
„Scheiße, verdammte!“ Raven sank auf die Knie, kratzte über den kahlen Schädel. „Das hätte nicht geschehen dürfen. Niemals hätte das geschehen dürfen.“ Wie ein Gebet wiederholte er die Worte immer wieder.
Laurens stolperte zu Tom. Er lebte, sein Gesicht war eine klaffende Wunde. „Ruf einen Arzt.“
Raven sah auf, nickte, packte Tom und schleppte ihn hinaus. „Komm mit. Ich bringe dich und dieses Stück Mist nach Mhorags Manor. Erin wird sich um eure Verletzungen kümmern. Wir können zu keinem Arzt.“
Laurens tappte hinter ihm her zum Boot, stieg ein, hielt Ausschau nach dem Ungeheuer. Es war nirgends zu sehen.
Erin schlug die Hand vor den Mund, als sie Tom sah. Schweigend folgte sie Raven ins Haus. Laurens wartete draußen. Der Abend war schön, mild. Wie konnte er? Als sich Samuel und er zum ersten Mal geliebt hatten, hatte es gehagelt. Unwetter bei Liebe, Sonnenuntergang bei Tod. Sein Lachen klang furchtbar. Er schluckte es hinunter, dahin, wo auch seine Angst hockte.
Irgendwann kam Raven, verband seinen Arm und gab ihm etwas zu trinken.
„Willst du was essen?“
Laurens schüttelte den Kopf. Sein Magen war wie zugeschnürt. „Wann kommt Samuel wieder?“
Raven schwieg, starrte nur zu dem Weg, der hinunter zum See führte.
Samuel war ein Monster. Raven auch. Und er?
„Ich liebe ihn.“
Raven sah hoch. „Das hättest du ihm vorhin sagen sollen.“
„Er hat …“
„Ich weiß.“ Raven legte den Arm um ihn. „Selbst ich hatte Angst vor Samuel. Dabei ist er mein Bruder.“
„Ich will, dass er wiederkommt.“ Sein Herz zog sich zusammen. Es schmerzte so sehr, dass er nach Luft schnappen musste.
Raven zog ihn dichter zu sich. „Er wird nicht kommen, Laurens. Er kann es nicht ertragen, wenn sich jemand vor ihm fürchtet. Das konnte er nie. Und bei dir ist es noch schlimmer, weil er dich liebt.“
Laurens fasste an seine Kehle, aber sie blieb eng. Er hatte versagt. Jämmerlich versagt. „Er hat mich schwören lassen, dass ich mich nie vor ihm fürchten werde.“ Er schrie es Raven ins Gesicht. „Wir haben uns geliebt, er hat mich hingehalten, nur weil er vorher von mir hören wollte, dass ich mich nicht vor ihm fürchte und was mache ich? Ich verrate ihn!“ Elender kleiner
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