Satanica
die Nerven ging. Am liebsten hätte er ihm das Maul gestopft, aber er riß sich zusammen. »Klar, sie wurde getötet. Also ist deine Schwester hier.«
»Debora tötet keine Katzen!« behauptete Perry.
»Doch, tut sie – muß sie.«
»Warum?«
»Opfer. Sie will Opfer bringen. Das hier ist ihr Revier. Hier opfert sie.«
»Tiere?«
»Bestimmt.«
Die nächste Frage lag Perry auf der Zunge, doch er unterdrückte sie, weil sie ihm einfach so schlimm vorkam. Er wollte sie nicht stellen. Er konnte sich auch nicht mit dem Gedanken beschäftigen, daß seine Schwester irgendwo saß, umgeben vom Tierblut, das sie möglicherweise sogar noch getrunken hatte.
Möglich war alles, und er hatte in seinem Job auch schon in zu viele menschliche Abgründe hineingeschaut. Auch ihm war etwas Schreckliches prophezeit worden. Er sollte an seinem eigenen Blut ersticken und vom eigenen Blut getötet werden.
Da kam er nicht mit.
Das traute er seiner Schwester einfach nicht zu, mochte sie sich auch in den letzten Jahren noch so weit von ihm entfernt haben.
Sie waren weitergegangen. Vorsichtiger diesmal. Auch damit rechnend, daß sich der Schrei wiederholen konnte. Ganz in ihrer Nähe. Sie achteten auf jedes Geräusch. Durch die Anspannung kam Perry Brixton der Friedhof noch unheimlicher vor. Seine Phantasie malte sich die schlimmsten Dinge aus. Da wurden aus Bäumen plötzlich unheimliche Gestalten aus dem Totenreich mit langen, dürren Armen und breiten, entstellten Händen. Greifklauen, die nach seinem Gesicht zielten, nach den Augen, und ihm die Haut abreißen wollten.
Hohes Unkraut wischte an ihren Beinen entlang. Wie seichte Totenfinger.
Eine unheimliche Gegend, nichts für schwache Nerven. Ein düsterer Ort, an dem Alpträume geboren wurden.
Der Schrei hatte sich nicht wiederholt, was die beiden nicht hatte beruhigen können. Sie blieben vorsichtig, nutzten selbst in der Dunkelheit noch den Schutz höherer Grabsteine aus und duckten sich hinter Büschen. Eine Leichenhalle hatte Perry nicht gesehen.
Möglicherweise war sie verfallen oder überwuchert.
»Wo hast du meine Schwester denn immer gesehen?« flüsterte er.
»Weiter vorn.«
»Was tat sie?«
»Das wirst du gleich sehen.«
»Auf diese Antwort hätte ich auch verzichten können. Normal hat sie sich bestimmt nicht benommen.«
»Nein, sie hat ihr Leben ritualisiert. Sie fühlt sich hier wie zu Hause. Das passiert auch nicht jedem.«
»Da hast du recht.«
Koko ging jetzt schneller, blieb aber schon nach drei Schritten stehen und winkte den Streetworker zu sich heran. Erst jetzt sah Perry, daß Koko vor einem Grabstein stand, über dessen Kante hinwegschaute, aber trotzdem nicht viel sehen konnte, weil Zweige ihm einen Großteil des Blickes nahmen.
Brixton wollte soeben etwas fragen, da geschah es. Ob weit von ihnen entfernt oder relativ nah, das war so einfach nicht festzustellen, aber es war zu erkennen, was sich dort abspielte. Die Dunkelheit blieb nicht mehr so. Ein flackernder Lichtschein riß Inseln in die Schwärze, bewegte sich über den Boden hinweg, tanzte, gierte, lockte, schuf Helligkeit, aber auch andere Schatten.
Brixtons Herz schlug schneller. Er spürte den Schweiß auf der Stirn. Er wußte auch, daß ihn Koko nicht angelogen hatte. Seine Schwester Debora hatte sich diese Nacht ausgesucht. Sie befand sich nicht weit von ihnen entfernt, sie hatte die Dochte der Kerzen angezündet, um sich in deren Licht zu baden.
Noch war es Spekulation, denn Details waren nicht zu sehen. Zu dicht wuchs das Buschwerk vor ihnen hoch und gab immer nur bestimmte Lücken frei.
Sie hörten keinen Laut. Kein Wehklagen, keine menschliche Stimme, es war nur der Schein vorhanden, der sich bestimmt aus mehreren Kerzen zusammensetzte.
Gierig stießen die Flammen in die Höhe. Sie erinnerten an blinkende Messerspitzen, zuckten nach oben und sackten wieder zusammen, legten sich auch mal zur Seite, als wollten sie über den Boden huschen und nach etwas greifen. Sie waren nicht zu halten, sie hörten nicht auf und verteilten ihr farblich unterschiedliches Licht. Mal düster und rot, dann wieder gelblicher und hell.
»Ich sehe meine Schwester nicht!«
»Klar. Du mußt näher ran.«
»Das werde ich auch.«
»Aber sei vorsichtig!«
Perry Brixton lachte bitter. »Das sagst ausgerechnet du zu mir.«
»Irgendwo mag ich dich ja.«
»Danke.« Der Streetworker hatte seinen eigentlichen Job vergessen. Er dachte nur noch an diese unheimliche Szenerie und natürlich auch an seine
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