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Satans Bruder

Satans Bruder

Titel: Satans Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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und schaute zur Straße. Es war inzwischen dunkel geworden und ich konnte keine Einzelheiten erkennen, nur zwei Scheinwerfer.
    »Er ist einer der vernünftigsten Menschen, die man sich vorstellen kann«, sprach Pam weiter. »Dad hätte überhaupt nichts dagegen, wenn er Medizin studieren würde. Die Insel könnte einen jüngeren Arzt gut gebrauchen. Aber das würde dauern - und er hat eine große Familie zu versorgen.«
    »In seinem Brief an mich sprach Ihr Vater von Ruhestand ...«, warf ich ein.
    Sie lächelte. »Ich glaube nicht, dass er sich je ganz zurückziehen wird, aber mit dreitausend Inselbewohnern könnte er bestimmt ein bisschen Hilfe gebrauchen. Ich konnte aushelfen, aber ... Sie haben gefragt, ob ich hier aufgewachsen bin. Ich bin zwar hier geboren, doch dann bin ich sehr jung in ein Internat gekommen. Danach habe ich in Philadelphia Medizin studiert und dort bin ich dann geblieben. Ich dachte immer, ich sollte irgendwann hierher zurückkehren, aber ich bin als Stadtmensch groß geworden ...«
    »Ich weiß, was Sie meinen«, sagte Robin. »Im Prinzip sind Kleinstädte etwas Wunderbares, doch sie können einen auch ziemlich einschränken.«
    »Genau. Aruk ist herrlich. Sie werden hier eine wunderbare Zeit verleben. Doch als ständige Bleibe ist es - wie soll ich es ausdrücken, ohne elitär zu klingen: Es ist einfach sehr klein und ringsum ist nichts als Wasser. Man wird ständig daran erinnert, wie unbedeutend man ist.«
    »Wir haben das letzte Jahr in einem Strandhaus verbracht«, erzählte Robin. »Manchmal hatte ich das Gefühl, der Ozean mache mich unsichtbar.«
    »Ganz genau. Wo immer man hinschaut, der Ozean ist einfach da.« Sie nahm sich noch ein Stück Obst. »Und dann das Tempo hier, wie langsam hier alles ist. Sobald man die Datumsgrenze überschreitet, wird alles auf einmal so unglaublich langsam. Und ich bin nicht gerade für meine Geduld berühmt.«
    Gladys und Cheryl erschienen mit einem Servierwagen, räumten die Teller ab und gossen uns Kaffee ein.
    »Es hat wieder alles sehr gut geschmeckt«, bedankte sich Pam.
    »Sagen Sie Ihrem Vater doch noch einmal, dass er sich zum Abendessen blicken lassen soll. Er muss besser auf sich aufpassen.«
    »Das sage ich ihm, seit ich hier bin, Gladys.«
    »Und ich alter Esel habe mich nie darum gekümmert«, erklang eine Stimme aus dem Haus.
    Ein sehr großer, einfach aussehender Mann stand in der Doppeltür, die auf die Terrasse führte. Er war hager, glatt rasiert und kahlköpfig bis auf etwas weißen Flaum über den Ohren. Er hatte einen schmalen, dünnlippigen Mund, eine große, fleischige Nase und ein längliches Gesicht, das in einem fliehenden, schrumpeligen Kinn auslief, das mich an ein Kamel erinnerte. Seine Wangen waren hohl und schlaff und er hatte dicke Tränensäcke unter den tief liegenden Augen - traurige blaue Augen, der einzige Zug, den er an seine Tochter vererbt zu haben schien.
    Er trug ein billiges weißes Hemd, eine ausgebeulte braune Hose, weiße Socken und Sandalen. Seine Brust wirkte eingefallen, und seine Arme waren lang und unbeholfen und voller Flecken und Sommersprossen. Das Fleisch lag schlaff um dünne Knochen. An einer Kette um den Hals hing eine Brille mit Plastikgestell und aus einer Brusttasche quollen eine Arzttaschenlampe, Kugelschreiber, eine Sonnenbrille und ein kleines Plastiklineal. Er trug eine abgewetzte, schwarze Arzttasche.
    Als ich aufstand, winkte er und kam mit einem linkischen, kopflastigen Gang auf uns zu.
    Kein Kamel. Ein Flamingo, dachte ich.
    Er küsste Pam auf die Wange. »Guten Abend, mein Kätzchen.«
    »Hi, Dad.«
    Der schmale Mund weitete sich ein wenig. »Sie müssen Miss Castagna sein. Schön, Sie zu sehen, meine Liebe.« Er hielt Robins Fingerspitzen kurz mit beiden Händen und seufzte, als hätte er seit Ewigkeiten darauf gewartet, das tun zu dürfen.
    »Dr. Delaware.. .«
    Sein Händedruck war trocken und schlaff wie ein Herbstblatt.
    »Ich bringe Ihnen jetzt Ihr Abendessen«, verkündete Gladys, »und sagen Sie nicht, Sie hätten schon gegessen.«
    »Nein, das habe ich nicht.« Er schlug die Hände zusammen. »Wirklich nicht, Gladys.«
    Er setzte sich und betrachtete seine Serviette, bevor er sie auffaltete. »Ich bin sicher, man hat sich gut um Sie gekümmert. Ist jemand seekrank geworden auf der Überfahrt?« Wir schüttelten beide den Kopf.
    »Sehr gut. Die Madeleine ist ein feines Boot und Alwyn ist der beste Kapitän von allen. Die Madeleine gehörte früher einem Sportsegler aus

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