Satans Erbe (German Edition)
fragte sie erneut.
»Ja, Gschpusi. Toll siehst du aus, altes Maitli.«
Sie genoss den bewundernden Blick, den sie im Spiegel auffing. »Du schaust aber auch ganz schön fesch aus, Bärli.« Zärtlich strich sie ihrem Mann über die grauen Schläfen, während Thomas die Hornknöpfe an ihrer Jacke schloss, die jeweils mit einem goldenen Kettchen verbunden waren. Er griff nach dem bereitgelegten Mantel und hielt ihn ihr zum Anziehen hin.
»Fertig?«
»Ja. Sind die Geschenke im Wagen?«
»Alles parat. Das Auto wird schon warm sein.«
Gemeinsam gingen sie die breite Treppe ins Erdgeschoss hinunter. Die Diele lag im Halbdunkel.
»Wie still es hier ist. Ich wünschte, Petra würde öfter mit den Kindern herüberkommen.« Constanze seufzte.
»Gott bewahre«, konterte Thomas. »Ich bin froh, dass sie mir im Büro wieder zur Seite steht. Während ihrer Pause hat sie mir gefehlt. Petra ist für mich nicht zu ersetzen.«
»Hey, ich muss doch nicht auf meine alten Tage noch auf deine Sekretärin eifersüchtig werden?«
»Aaba. Musstä mich ewig feckä, Baabä?« Thomas lachte.
Durch den an die Küche grenzenden Hauswirtschaftsraum betraten sie die Doppelgarage. Das Tor war geöffnet, das Heißluftgebläse brummte. Nachdem Thomas die Alarmanlage des Hauses eingeschaltet hatte, öffnete er Constanze die Wagentür und schloss sie, als sie sich in den bequemen Polstern zurückgelehnt hatte. Sie wusste, der dumpfe Ton der zufallenden Tür klang in Thomas’ Ohren wie Musik. Seine Finger fuhren zärtlich über die Motorhaube, als er um den Sportwagen herum zur Fahrerseite ging. Constanze lächelte. Sie gönnte ihrem Mann sein Spielzeug, das er wie seinen Augapfel hegte und pflegte. Sie nahm sich dafür Zeit, karitative Einrichtungen im Kanton Bern zu besuchen und packte mit an, wenn »Not am Mann« war. Die Spenden an die Hilfsorganisationen betrachtete sie als einen gerechten Ausgleich für Thomas’ kostspieliges Hobby und die Arbeit erfüllte sie mit Zufriedenheit.
»Mir knurrt der Magen«, jammerte Thomas. Elegant glitt der Wagen aus der Garage und schoss die beheizte Einfahrt hinab. Das Rolltor senkte sich laut ratternd hinter ihnen.
Thomas war ein flotter, aber sicherer Fahrer. Sie konnte entspannt aus dem Seitenfenster schauen und ihre Umgebung betrachten. Immer wieder erfreute sie sich neu an ihrer Umwelt, am Blick auf den glitzernden Thunersee in der Abendsonne, den schneebedeckten Niesengipfel und die anderen Berge im Hintergrund.
»Weißt du noch, wie wir vor 20 Jahren den Niesen hinaufgeklettert sind?«
Thomas grinste. »Da waren wir noch jung und fit, was? Wie viele Stufen führen da noch hoch?«
»11674. Die längste Treppe der Welt.«
»Das weiß ich. Mir war nur die Anzahl entfallen.«
»Das Alter, Bärli … das Alter.« Constanze quiekte vergnügt, als Thomas ihr einen Klaps auf den Oberschenkel gab. Sie waren oft so albern wie als Teenager und kamen sich längst nicht wie Mittfünfziger vor.
Thomas hielt an einer Ampel. Schräg über die Kreuzung hinweg fiel ihr Blick auf eine Tankstelle frei. Zwei Polizeiautos standen mit Blaulicht neben den Zapfsäulen. Mehrere Beamte redeten mit einem Mann, der wild gestikulierte.
»Ist das nicht der Schoren-Fritzl?«
»Ja, ich glaube, er ist der Pächter. Was mag da passiert sein?«
»Nichts Schlimmes, hoffe ich.«
Die Ampel sprang auf Grün. Im Vorbeifahren sahen sie, wie Fritzl die Hände vors Gesicht schlug und seine Schultern zuckten. Der arme Kerl. Die meisten Thuner saßen jetzt mit ihren Familien in den festlich geschmückten Wohnstuben.
Der Lichterglanz in den Fenstern verstärkte sich, je weiter die Dämmerung fortschritt. Als sie die Staatsstraße am Ufer des Thunersees erreichten, begann es zu schneien. Dicke Flocken, fast so groß wie Tischtennisbälle, tanzten im Scheinwerferlicht. Gemächlich steuerte Thomas das Auto durch die Dörfchen am Rande des Sees. Vor ihnen kroch eine Autokolonne, die sich von Dorf zu Dorf verkürzte. In Merlingen bog der letzte Wagen ab. Sie hatten eine mehrere Kilometer lange bewaldete Strecke vor sich, die teilweise hoch über dem See an den Klippen entlangführte. Bei Tag war dies eine paradiesische Tour. Von der Beatenbucht genoss man eine atemberaubende Sicht über das Wasser auf den Niesen, der sich in seiner Pyramidenform majestätisch auf der anderen Seite erhob. Seit Constanzes Vater ihr die alten Drachengeschichten erzählt hatte, musste sie immer an Beatus denken, wenn sie diesen Weg entlangfuhren. Der
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