Satans Erbe (German Edition)
nicht wenigstens einen Arzt fragen?«
»Wozu?«
Benni verschwieg Arno, dass Kathy das in der Zwischenzeit wahrscheinlich schon getan hatte. Er wollte sich nicht anhören müssen, eigenmächtig über Arnos Kopf hinweg gehandelt zu haben. Mit Arno war nicht zu reden. Benni beschloss, sich Kathys Informationen anzuhören und eben heimlich dem Ratschlag des Arztes zu folgen.
Irgendeinen vernünftigen Weg musste er einfach finden, wie er auf Lisas Fantasiegeschichten reagieren sollte.
24.
Psychiatrische Privatklinik
»Sanatorium Hardegg«
Interlaken, Schweiz
3. November 2008
D er Bär vermutete etwas, Sibylle wusste es, aber er wollte nicht mit der Sprache herausrücken. Er benötigte eine zweite Sitzung und erst danach würde er sich mit ihr zusammensetzen und über seinen Verdacht reden. Sibylle hing ihren Gedanken nach und bekam nicht mit, dass ihr Mann sie ansprach.
»Schatz?«
»Entschuldige. Ach so, könntest du denen bitte eine E-Mail schreiben und absagen? Ich kann hier jetzt nicht weg.«
Matthias legte die Stirn in Falten und zuckte mit den Schultern. »Wie du willst. Ich dachte ja nur. Früher hast du nie einen Ärztekongress sausen lassen.« Er angelte sich den Brief und legte ihn neben sein Frühstücksbrett. Herzhaft biss er in sein Marmeladenbrötchen.
Sibylle bestrich ihr Croissant dick mit Schokoladencreme. Sie genoss jede einzelne Kalorie. In ihrer Kindheit bestand ihre Kinderfrau stets auf Vollkornbrot, Milch und Obst. Vergeblich versuchte Sibylle, sich dagegen aufzulehnen. Ihre Mutter arbeitete vor ihrer Geburt als Hauswirtschaftslehrerin und vertraute der alten Kinderfrau, die schon ihre Kinderfrau gewesen war. Sie stand voll hinter ihr. Nach einem besonders schlimmen Streit am Morgen raste Sibylle auf ihrem Fahrrad zum Pferdestall. Sie war mit ihrer Freundin Pia zum Ausreiten verabredet. So wütend, wie sie war, gurtete sie schlampig. Als die Araber wegen eines Tieffliegers durchgingen, flog Sibylle in hohem Bogen von ihrem Pferd und riss sich Knie und Hände auf. Der Sattel des Pferdes ihrer Freundin drehte sich, das Pferd stürzte und Pia quetschte sich unter dem mächtigen Ross ein Bein. Sibylle saß wie betäubt neben der schreienden Pia und konnte nichts tun.
Nie wieder wollte sie so hilflos und unachtsam sein.
Später gab sie sich die alleinige Schuld, obwohl alle sie freisprachen.
»Was machst du da?«
Sibylle schaute auf und zog die Hand unter dem Tisch hervor. »Mein Knie juckt. Weiter nichts.«
»Du solltest mal freinehmen, Schatz.« Matthias vergrub sich hinter seiner Zeitung.
Ja ja, würde sie. Sobald Elisa gesund war.
Ihre Freundin wurde nicht gesund. Man musste ihr das Bein amputieren, worauf sie von einem fröhlichen Mädchen zu einem depressiven Wrack wurde. Einmal im Monat besuchte Sibylle ihre Ex-Freundin auf Druck ihrer Eltern, obwohl sie sich vor Scham am liebsten völlig zurückgezogen hätte. Irgendwann bekamen Pia und sie sich derart in die Haare, dass ihre Eltern einsahen, dass es keinen Zweck hatte, sie länger zu zwingen. Der Kontakt brach ab. Sibylle blieben nur die Vorwürfe.
»Sibylle!«
»Ja?«
»Schatz, ich rede mit dir. Wenn du schon mal zu Hause bist, dann sei bitte auch anwesend. Sonst kannst du gleich im Sanatorium bleiben, wenn du deinen Kopf dort dauerparkst.«
»Entschuldige.«
»Was ist nun mit Elisa? Macht sie Fortschritte?«
»Ich weiß nicht genau.«
»Du möchtest nicht darüber reden.«
»Doch, doch. Aber … aber ich sollte jetzt los.« Sibylle stand so abrupt auf, dass ihr halb voller Kaffeebecher überschwappte. Entschuldigungen murmelnd schlüpfte sie im Flur in ihren Mantel.
»Ich mache das schon weg. Aber, Sibylle?«
»Ja?«
»Sie ist nicht deine Tochter.«
Sibylle warf Matthias einen traurigen Blick zu und nickte stumm. Sie eilte zur Tür, eilte zurück, drückte ihrem Mann einen fettigen Kuss auf den Mund, genoss seine warme Hand auf ihrem Po, trabte ein wenig lustloser zur Haustür und öffnete.
Eisiger Wind peitschte ihr entgegen und wirbelte einen Blättertornado durch den kargen Vorgarten. Sibylle schlang den Mantel um sich, huschte den Fußgängerweg entlang, stolperte fast über einen achtlos zurückgelassenen Kinderroller und betätigte den Garagentoröffner in dem Augenblick, als es anfing zu regnen. Sie bewohnten eine Reihenhaussiedlung mit einem mindestens achtzigprozentigen Kinderanteil. Beim Einzug hatte Sibylle gedacht, es wäre schön, hier zu wohnen, zwischen all diesen Kindern und Mamis. Doch
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