Satans Erbe (German Edition)
sternenklaren Himmel, der weit entfernte, gespenstische Schein der Flammen erhellte das Firmament obendrein.
In wenigen Stunden brach der Morgen herein und spätestens dann würde man ihn entdecken. Ihm blieb keine andere Wahl, er musste das Boot finden, und zwar schnell. Bei Tage hätte er die Stelle, an der die Interlakener gewöhnlich ankerten, sofort aufgespürt. Er versuchte, sich zu orientieren. Jedes unnötige Geräusch vermeidend schlich er die Böschung entlang. Dornen und Zweige zerkratzten sein Gesicht, rissen ihm Arme und Beine auf.
Mehrmals musste er seinen Umhang losreißen, der sich im Gestrüpp verfing. Kalter Angstschweiß rann ihm den Nacken hinab, er kam nur mühsam voran. Alle paar Meter hielt er inne. Er sperrte die Ohren auf, aber außer dem Plätschern der Wellen war es schauderhaft ruhig. Seine Augen hatten sich an das Nachtlicht gewöhnt, sodass er leicht alle Umrisse der Umgebung erfassen konnte.
Wenige Schritte vor sich erkannte er den Rumpf des Bootes. Er wollte darauf zurennen, doch eine Stimme in seinem Inneren hielt ihn ab. Endlich am Boot angelangt, sackte er auf die Knie und fing an zu heulen. Es war nur ein Wrack, die morschen Bretter fielen fast auseinander.
Jäh fuhr er aus seiner Starre, als er Pferdehufe und das Rasseln der Kettenhemden hörte. Er ließ sich auf den Bauch fallen und robbte hastig unter die vor Fäulnis stinkenden Überreste des Kahns. Sein kostbares Bündel drückte er fest an sich. Mit zusammengekniffenen Augen wartete er, bis der Trupp sich entfernt hatte. Sie waren nicht stehen geblieben, als sie knapp oberhalb seiner Position vorbeiritten. Nicht einmal der Schritt der Tiere hatte sich verlangsamt. Konnte er jetzt sicher sein, dass sie fort waren? Er lauschte seinem wild pochenden Herz und wartete.
Als alles still blieb, kroch er aus dem Unterschlupf und ließ seinen Blick schweifen. Er ging ein paar Meter weiter. Erleichtert stellte er fest, dass er das Boot endlich gefunden hatte, es lag nur wenige Meter entfernt und schaukelte am Ufer. Beim Herantreten erkannte er das Wappen des Klosters am Rumpf. Mit zitternden Fingern löste er das Seil vom Baum. Statt es einfach ins Boot zu schmeißen, rollte er es auf und legte es lautlos hinein. Er schob das Boot weiter in den See und watete hinterher, bis ihm das Wasser an die Knie reichte. Dann schwang er sich über den Rand und griff nach den Rudern.
Je weiter er sich vom Ufer entfernte, desto beschwingter fühlte er sich. Schließlich erkannte er das Feuer nur noch als winzigen, orangefarbenen Punkt in der Ferne.
Das Pergament!
Es war gerettet. Seine Freunde im Kloster würden ihm Unterschlupf gewähren, das wusste er. Seine Aufgabe konnte beginnen.
Schon begann er, sich darauf zu konzentrieren, ein geeignetes Versteck für den Kelch zu finden. Keinesfalls durfte er es dem Auserwählten zu leicht machen.
Er bedauerte, dass er bei der Zeremonie in 550 Jahren nicht dabei sein würde – aber immerhin war er einer der Erwählten, die über lange Zeit den Weg bereiteten.
31.
Villa Felthen
Interlaken, Schweiz
18. Dezember 1975
» W o bist du letzte Nacht gewesen?« Benni warf seinem Bruder einen vorwurfsvollen Blick zu, ließ sich aber nicht davon abhalten, weiter seinen Koffer zu packen.
» Das geht dich einen feuchten Dreck an.« Arno trat einen Schritt auf ihn zu. »Was hast du überhaupt vor? Wohin willst du?«
»Ich könnte dir das Gleiche antworten.«
»Mach keine Mätzchen. Wo willst du hin?«
»Ich reise ab. Und jetzt lass mich zufrieden.«
»Niemand reist hier ab, ohne mich zu fragen. Hast du kein Verantwortungsgefühl?«
Benni schnappte nach Luft. Seine mühsam beherrschte Ruhe brach zusammen. »Ich und kein Verantwortungsgefühl? Ich glaube, du bist übergeschnappt.« Er schnellte zu Arno herum und packte ihn am Kragen. »Wer schmeißt hier den Laden? Wer kümmert sich um Lisa, seit … seit …« Er stockte und ließ die Hände sinken. Diese Auseinandersetzung hatte er befürchtet und sie überstieg seine Kräfte. Langsam zählte er im Geist bis zehn und sammelte neuen Schwung. »Ich werde gehen. Ich weiß, dass es Lisa wehtun wird. Aber ich kann es nicht länger mit dir ertragen. Und ich kann nicht länger zusehen, wie du mit ihr umgehst!«
Arnos Reaktion traf ihn unerwartet. Sein Bruder ließ sich auf das Bett sinken und fing hemmungslos an zu weinen. Bestürzt stand Benni daneben. Dies war der erste Gefühlsausbruch von Arno, seit er vor einem knappen halben Jahr das
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