Satans Erbe (German Edition)
geliebten Unterricht, aber weil sie ebenso gern allein war und sich in ihren Büchern vergrub, konnte sie die Strafe, die Arno ihr aufgebrummt hatte, problemlos an sich abprallen lassen.
Gebracht hatte das sowieso nichts. Heute würde sie mit Benni auf den Thuner Schlossberg fahren. Ihr Onkel hatte es wieder einmal geschafft, ihr ein Stückchen Freiheit herauszuboxen. Dafür liebte sie ihn, aber er war auch ein wenig schusselig und vertraute ihr blind. Lisa nahm sich vor, das heute auszunutzen und sich erneut die Freiheit zu holen, die ihr zustand. Sie wusste zwar noch nicht, wie, aber es würde ihr schon etwas einfallen.
Arno konnte gegen den Ausflug keine Einwände erheben. Nachdem der Brief vom Bildungsministerium eingetroffen war, in dem man ihr ihre Prüfungsfächer und Themen mitteilte, und aus dem hervorging, dass sie neben dem Besuch des Schlossmuseums ein Referat über die historische Spielzeugsammlung erarbeiten sollte, war ihm keine andere Wahl geblieben, als dem Ausflug zuzustimmen.
Lisa hielt ihre Vorfreude in Grenzen. Sie wollte Arno keinen Anlass geben, ihren Plan zu durchkreuzen, weil man ihre Gefühle in ihrem Gesicht ablesen konnte. Dennoch war sie vor Aufregung um sieben Uhr am Morgen startklar, obwohl es erst um neun losgehen würde. Sie wollten mit dem Zug von Interlaken nach Thun fahren und John sollte sie zum Bahnhof bringen und wieder abholen.
Alles verlief nach Plan. Nach etwas mehr als einer halben Stunde in dem überfüllten Zug erreichten sie Thun. Sie stiegen in einen Bus und wanderten anschließend gemächlich den Schlossberg hinauf. Schon im Innenhof erhaschte Lisa einen Blick auf eine der zahlreichen Schulklassen. Wenn sie sich daruntermischen könnte … Weiter kam sie mit ihren Überlegungen nicht, denn sie betraten den ersten Ausstellungssaal. Die farbenprächtigen Majoliken – Kannen, Schüsseln, Teller und viele andere Objekte aus gebranntem Ton – konnten Lisas Aufmerksamkeit nicht fesseln, obwohl sie sich in der Regel für alles Historische interessierte. Verstohlen hielt sie stattdessen Ausschau nach einer Klasse, aber keine kam in ihre Nähe.
Benni bemerkte nichts. Er redete unaufhörlich auf Lisa ein und hatte sich als Museumsführer gut vorbereitet. Nachdem sie durch die Töpferwerkstatt, die Musikinstrumente- und Uhrenausstellung gegangen waren, sah Lisa im Rittersaal zum ersten Mal eine Gelegenheit, sich unter eine Gruppe Jugendliche zu mischen, doch Benni klebte an ihrer Seite.
Im Spielzeugmuseum gelang es ihr. Zwischen den Glaskästen wurde sie im Gewühl wie von allein von ihm abgedrängt. Zwar hörte sie seine Rufe, konnte sie aber getrost im aufgeregten Geplapper der vielen Kinder ignorieren. Sie ließ sich von der Menge treiben und registrierte mit wachsender Erregung, dass Bennis Stimme leiser wurde. Plötzlich hatte sie die Ausgangstür im Rücken. Nach einem schnellen Rundblick schlüpfte sie hinaus, schloss sich gleich einer weiteren Gruppe an und strebte mit ihnen dem Innenhof entgegen. Dort ließ sie sich mitten im Gedränge auf den Rand eines alten Brunnens sinken. Sie wollte kurz darüber nachdenken, was sie als Nächstes tun würde.
»He, träumst du?«
Erschrocken sprang sie auf, um davonzulaufen, doch die vielen Menschen im Hof standen zu dicht für eine schnelle Flucht. Zudem versperrte ihr der Mann, der sie angesprochen hatte, den Weg. Sie blickte in dunkelbraune Augen mit unglaublich langen Wimpern. Die ebenso dunklen Haare fielen ihm verwegen in die Stirn. Sein Alter konnte sie schlecht schätzen, sie kannte zu wenige Männer, glaubte aber, dass er jünger sein musste als ihr Onkel.
»Was wollen Sie von mir?«
»Du sahst so versunken aus und da dachte ich mir, ich frag mal, wovon du träumst.«
Lisa lachte, es fühlte sich bitter an. Sie schaffte es nicht, den Blick von diesem Fremden zu lösen und irgendwie fand sie es auch tröstlich, dass sich jemand für sie interessierte. Träume? Als wenn sie noch welche hätte. Wenn es eines gab, wovon sie träumte, dann war es …
»Freiheit.«
»Warum?«
»Ach, nur so.«
»Hast du Lust, ein Eis zu essen?«
Lisa bedachte den Mann mit einem misstrauischen Blick, aber ihr strömte eine Woge Freundlichkeit entgegen. Was sollte schon passieren, hier unter all den Leuten?
»Na los, komm.«
Der Typ streckte ihr eine Hand entgegen, die sie zögernd ergriff. Sie fühlte sich gut an. Angenehm trocken und warm und …prickelnd.
»Lisa! Da bist du ja. Was hast du dir dabei gedacht, mir
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