Satans Erbe (German Edition)
war verheilt, doch sein Gesicht war übersät mit Narben, die er mit einem Vollbart zu verdecken suchte. »Hier, die letzten drei Briefe.«
Ich streckte die Hand aus und öffnete die Umschläge.
»Und?«
Seit Monaten lagen uns mehrere Übersetzungen vor, mit deren Interpretation wir unterschiedlich weit vorangekommen waren. »Es sind die fehlenden zwei Verse und das letzte Teilstück aus dem Pergament.«
Jörg sagte nichts, griff nach einer Fanta und trank. Er sah mich abwartend an. Das mochte ich an ihm. Er stellte nicht zu viele Fragen und fasste sich kurz.
»Da wir wissen, dass das Pergament vom sagenhaften Rosenkelch und dem Ritual handelt, beginnen wir mit dem Anhang.« Ich überflog die Briefe und setzte mich im Schneidersitz auf den Boden, wo alle Übersetzungen sortiert ausgebreitet lagen.
»Pack mal die Notizen über das Pergament weg. Ich bin mir sicher, dass der Mönch den Rosenkelch versteckt hat.«
»Wo?«
»Das verrät uns jetzt dieser Text. Also, erster Vers:
gottes haus nicht minder hindert,
des auserwählten reiche kräfte,
dereinst das faulhorn zum niesen blickt,
und das schilthorn den hohgant streift.«
Nach einer kurzen Pause sagte Jörg: »Hm, eine Kirche, die den Auserwählten nicht aufhalten kann, und die zwischen diesen Dingern, keine Ahnung was das sein soll, erbaut wurde. Das Versteck liegt in einem Gotteshaus.«
Ich nickte ihm zu. Das dachte ich auch. »Faulhorn und Schilthorn klingen nach Bergen. Hast du die anderen beiden Namen schon mal gehört?«
»Nö, aber könnten doch auch welche sein.«
»Der eine blickt zum anderen, der dritte streift den vierten. Das sind Koordinaten. Verbindet man die Punkte, kreuzen sich die Linien und die Schnittstelle markiert den Ort, an dem die Kirche steht.«
Jörg lachte, bis er meinen erbosten Blick auffing. »Okay, okay. Damals war das wohl noch nicht so abgedroschen wie heute.«
»Den zweiten Teil haben wir ja seit einiger Zeit:
der kelch obsiegt und fordert,
des wahren meisters säfte,
im rechten jahre erquickt,
das tor sich öffnet.«
»Im rechten Jahre erquickt. Mann, waren die panne. So eine dämliche Ausdrucksweise. Aber klar, da sind wir uns bereits sicher. Es geht um ein bestimmtes Datum. Drei mal 666, die Zahl des Antichristen. 1998. Haben wir ja schon bald …«, setzte er spottend hinzu.
Dass es noch 16 Jahre waren, schien ihn nicht zu ärgern, mich hingegen schon. »Wohl im Fegefeuer gefrühstückt, was? Okay, hier im zweiten Brief haben wir den dritten Vers:
so finde an heilger stätte,
der rosen kostbarer samen,
der wände mit zierkram hätte,
als letzter steinerner rahmen.«
»Ein weiterer Hinweis auf das Versteck des Kelches.«
»Pass auf.« Ich stand auf, kramte eine Landkarte aus einem Stapel Zeitschriften neben dem Sofa und breitete sie vor uns auf dem Tisch aus. Die Namen sprangen mir förmlich entgegen. »Da ist das Faulhorn, das zum Niesen blickt und dort ist das Schilthorn. Stell dir vor, du stehst auf der Bergspitze. Wenn du von hier leicht nordöstlich blickst, streifst du den Hohgant.« Ich fuhr mit dem Kaffeelöffel über die Karte.
»Ich fress ’n Dreizack.«
Ich mochte es nicht, wenn Jörg so sprach. Doch wusste ich, dass niemand mir treuer ergeben war und mehr an mich glaubte als er. Er war ein Scherzbold, aber auch der besessenste und loyalste Jünger, der sein Leben für mich gäbe, falls ich dies fordern würde.
»Die Linien kreuzen sich in einem Dorf namens Wilderswil. Hier.« Ich tippte mit dem Zeigefinger auf den Ortsnamen.
»Dann ab nach Wilderswil.«
Es war ganz in der Nähe von Interlaken. Flüchtig dachte ich an meine Erlebnisse vor acht Jahren und grinste vor mich hin, als mir der fette Scheck einfiel, der mir meine Suche eine gute Weile finanziert hatte. Jetzt war ich dem Ziel so nahe wie nie zuvor und wieder am Ausgangspunkt angelangt. Der Kreis schien sich zu schließen.
Es dauerte keine Woche, da stand ich mit Jörg in der Kirche Gsteig. Sie war im 12. Jahrhundert erbaut worden, wie uns ein eifriger Pfarrer mitteilte. Erst vor rund sechs Jahren waren bei Renovierungsarbeiten Wandmalereien freigelegt worden. Sein Geplapper hielt eine Weile an und ich hörte aufmerksam zu, um kein Wort zu versäumen, das uns einen Hinweis auf das Versteck geben konnte.
Endlich ließ uns der Pfaffe allein.
59.
Villa Felthen
Interlaken, Schweiz
23. Oktober 1982
D ie zwei Wochen Gefängnis hatte Lisa locker überstanden. Sie vermisste zwar ihren
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