Satans Eulen
peitschten und auch das Gesicht trafen, was sie nicht weiter kümmerte.
Schließlich hatte sie ihren Mann erreicht. Auf einer kleinen Lichtung, die sich die Rehe so gern als Futterstelle aussuchten, war er stehengeblieben. Vornübergebeugt lehnte er an der Krippe und klammerte sich dort fest.
»Ich kann nicht mehr«, schluchzte er. »Verdammt, ich kann einfach nicht mehr!«
»Warum weint Vati denn?« fragte die kleine Sonja. Sie stand daneben und schaute ihre Eltern aus großen Augen an.
»Laß ihn«, erwiderte Enna.
Lars hob den Kopf. »Wo sind die Eulen?« keuchte er. »Wo, wo?« Er schrie jetzt.
Enna behielt in diesen Augenblicken der Wahrheit noch am besten die Nerven. »Bitte, Lars, reiß dich zusammen. Wir müssen jetzt einen klaren Kopf behalten.«
Der Maler hatte sie sehr wohl verstanden. Aus großen, schon geröteten Augen blickte er Enna an. »Was sagst du da? Einen klaren Kopf bewahren? Verdammt, wie soll ich denn bei diesem Horror einen klaren Kopf behalten? Die Eulen sind da, zum Teufel!«
»Ja, das habe ich gesehen. Vielleicht wollen sie gar nichts von uns.«
»Wieso das?«
»Nun, sie sind uns nicht gefolgt.«
Lars Strindberg schaute verwundert auf seine Frau. Hinter seiner Stirn spulten die Gedanken. »Ja, du kannst recht haben«, erwiderte er und nickte. »In der Tat, da sind keine Eulen mehr in der Nähe. Vielleicht wollen sie nur unser Haus. Das ist Idiotie, ist das.« Er schlug sich gegen den Kopf. »Aber wo sollen wir hin? Im Wald übernachten und solange warten, bis die Strigen verschwunden sind?«
»Nein, Lars.«
»Dann hast du einen besseren Vorschlag?«
»Ich glaube ja.«
Lars schaute seine Frau skeptisch an. »Du weißt ja, daß ich zu Scherzen nicht aufgelegt bin, dazu ist die Lage viel zu ernst.«
»Ich scherze auch nicht.«
»Dann raus mit der Sprache.«
»Wir haben doch das Boot. Wenn wir es schaffen, bis an die kleine Fjordzunge zu gelangen, könnten wir fliehen. Denk mal darüber nach.«
Lars Strindberg dachte darüber nach. Er schaute seine Frau an, als sähe er in ihr eines der Weltwunder. Dann huschte ein Lächeln über seine Lippen, und er nickte. »Verdammt, das kann klappen, Enna. Das kann wirklich klappen.« Vor Aufregung strich er über seine Haare. »O Gott, ich werde noch verrückt und drehe durch. Das… das gibt es doch nicht. Wir müssen hin.«
»Sag ich doch«, erwiderte Enna trocken. Sie atmete auf, denn sie hatte ihren Mann nicht nur überzeugen, sondern ihm auch einen Teil der Angst nehmen können. Sie hätten direkt vom Haus her zum Fjord laufen sollen, so mußten sie einen Umweg machen, doch das störte beide nicht. Hauptsache, sie entkamen den Satans-Eulen.
Lars Strindberg wollte Sonja an sich nehmen, doch Enna schüttelte den Kopf. »Laß es, ich fasse sie an der Hand.«
»Gut.«
Querbeet schlugen sie sich durch den nachtdunklen Wald. Da sie nicht mehr ins Haus zurückgekehrt waren, trugen sie noch dieselbe Kleidung wie in der Wohnung. Die Pullover wärmten zwar, aber für die kalte Nacht reichten sie nicht aus.
Trotz allem froren sie nicht, denn die Lauferei heizte ihnen ein. Zum Glück kannten sie den Wald, er war ihr Zuhause gewesen, und sie verirrten sich nicht.
Hin und wieder mußten sie kleine Bäche überspringen. Das Wasser war eiskalt, sehr klar und schäumte über blankgewaschene Steine. Es kam aus den Bergen, wo die Schneeschmelze erst im Gange war. Zum Fjord hin wurde der Wald lichter und der Boden felsiger. Der Weg führte etwas bergab, er war schwieriger zu laufen, weil auf den aus dem Boden wachsenden Felsen die grüne Moos-und Algenschicht Rutschfallen gebildet hatte.
Eine Hoffnung gab es.
Wenn der jetzt lichte Wald ihnen einen Blick nach vorn gestattete, dann sahen sie bereits die dunkle Wasserfläche des Fjords. Tagsüber schimmerte sie grün, in der Dunkelheit war sie schwarz wie Teer. Wie gut sich Lars Strindberg auskannte, war daran zu merken, daß er zielsicher auf den kleinen, schmalen Pfad traf, der in Schlangenlinien nach unten und damit zu dem Wasser führte. Ein Fremder hätte ihn bestimmt übersehen, nicht Strindberg.
Er blieb für einen Moment stehen und wartete, bis Mutter und Tochter da waren. »Wir haben es gleich geschafft. Nur noch den Weg hinunter, dann ist alles klar.«
Enna nickte. Ihr Gesicht war gerötet und gleichzeitg auch verschwitzt. Das Laufen hatte sie angestrengt. Sonja erging es ähnlich. Auch sie atmete schneller. Ihre Mutter ging in die Knie und streichelte die Wangen der Kleinen. »Wir
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