Satans Ritter
sich kein wirklich bemerkenswertes Vorkommnis. Sie sahen unregelmäßig nach ihm, und manchmal suchte auch ein Leidensgenosse seine Gesellschaft, selbst zu solch später Stunde. Zeit war die bedeutungsloseste aller Erfindungen - jedenfalls für Highgate Hall .
Diesen jungen Mann, der da im Sessel Platz genommen hatte, kannte Milton Banks allerdings nicht.
Ein Neuer unter ihnen konnte er nicht sein. Sie wechselten stets gleichzeitig, und die momentane Riege schien Banks noch nicht lange genug hier, als daß es schon Zeit für ihre Ablösung gewesen wäre. Andererseits - es waren ihre Regeln, und vielleicht hatten sie sie geändert .
»Wer sind Sie? Was tun Sie hier?« fragte Banks, obwohl er deutlich sah, was der Jüngling tat: Er las in den Unterlagen.
Der andere gab sich den Anschein, als erschrecke er darüber, so plötzlich angesprochen zu werden - und er tat es so überzeugend, daß Milton Banks lächeln mußte.
Der junge Mann ließ seine Lektüre sinken, schob ein paar Fotos auf dem kleinen Tisch hin und her und meinte dann: »Muß ja ein furchtbarer Kerl gewesen sein, dieser Milton Banks.«
Milton Banks nickte im Näherkommen.
»Ja, das war er wohl.« Er konnte sich nicht angewöhnen, von jenem Milton Banks in der ersten Person zu sprechen.
»Gefällt mir, der Mann«, sagte der Besucher anerkennend.
»Wie bitte?«
»Ein richtiger ... Satansbraten.« Der junge Mann ließ makellos weiße Zahnreihen blitzen.
»Was soll das alles?« fragte Milton Banks unbehaglich. »Sie können ihrer Rede nach kaum jemand vom Personal sein -«
Oder doch? unterbrach er sich im Stillen. War dies nur ein neuer Trick von ihnen, mit dem sie ihn quälen wollten?
»Nein, bestimmt nicht«, wehrte der Fremde ab. Er stellte sich als Gabriel vor.
Milton Banks nannte seinen Namen.
»Das weiß ich doch«, lächelte der Jüngling. »Wäre ich sonst hier?«
»Was wollen Sie von mir?«
Gabriel tat, als müsse er überlegen. Dann schnippte er mit den Fingern, als habe ihn ein Geistesblitz ereilt. »Wie wär's damit - ich erfülle Ihren sehnlichsten Wunsch!«
»Was sollte das für ein Wunsch sein?« Milton Banks hätte ad hoc tatsächlich keinen solchen benennen können.
Gabriel griff blind nach einer der Berichtskopien und hielt sie Banks hin.
»Ich mache aus Ihnen«, sagte er ernsthaft, »wieder den Mann, der Sie einmal waren - den wahren Milton Banks!«
Einen Moment lang stand Banks starr wie zu Stein geworden. Dann - lachte er.
»Nichts für ungut, junger Freund«, sagte er dann, »aber Sie sollten jetzt besser in Ihre Zelle zurückkehren. Es ist schon spät, und wie Sie sicher wissen, pflegt man in Highgate Hall sehr zeitig zu frühstücken -«
»Zur Hölle mit dem Frühstück!« rief Gabriel. »Wenn Sie einwilligen, dann sind wir zum Frühstück schon nicht mehr hier.«
Milton Banks ließ sich seinem jungen Besucher gegenüber nieder und lehnte sich behaglich zurück. Das Bürschlein amüsierte ihn, und er war nicht in der Situation, in der er Kurzweil ausschlagen konnte, wie absurd sie auch sein mochte.
Er senkte seine Stimme auf verschwörerische Lautstärke: »In Ordnung, mein Freund. Wir brechen also aus. Wie soll die Aktion ablaufen?«
»Mir scheint, Sie bringen nicht den nötigen Ernst auf.«
»Ich bin ganz Ohr«, beteuerte Banks.
Gabriel erklärte, wie er sich den weiteren Verlauf dieser Nacht vorstellte. Und Milton Banks schwieg noch eine ganze Weile, nachdem sein Gegenüber geendet hatte.
Er glaubte diesem Jungen . und konnte zugleich nicht fassen, daß er es tat!
Andererseits - was hatte er zu verlieren? Im schlimmsten Fall würde er ein bißchen Spaß haben .
»Ich bin einverstanden«, erklärte Milton Banks und streckte Gabriel die Hand hin.
Und der Teufel schlug ein.
*
Simon Ludlow erreichte das Torhaus und versuchte die Hintertür zum Park zu öffnen.
Abgesperrt. Natürlich. Derek Logan war ein Sicherheitsfanatiker. Gewesen .
Kein Problem.
Ludlow zog die Pistole, visierte die Stelle des Türrahmens neben dem Schloß an und drückte ab, einmal, zweimal. Der Schalldämpfer sorgte dafür, daß niemand durch die Schüsse gestört wurde. Holz splitterte. Ein Fußtritt ließ die Tür aufschwingen.
Mühelos fand Ludlow den Weg in den Keller. Er war oft genug zu Besuch im Torhaus gewesen, schließlich hatte es sich bei Derek Lo-gan um einen Kollegen - wenn auch nur im weiteren Sinne - gehandelt. Obwohl sie nie einen Hehl daraus gemacht hatten, daß sie einander nicht sonderlich sympathisch waren
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