Satt Sauber Sicher
behauptet, ich sei der Tod und so. Außerdem hat er mein Laptop runtergeschmissen. Der ist total daneben. Drogen wahrscheinlich. Heroinrauchen und so, davon kommt doch so was, Wahrnehmungsstörungen ..." Roland immer noch in einer verstörten Sichtweise haspelt nur hastig und wiederholt die Worte: "Nein, nicht wirklich." Der Bahnbeamte droht erneut: "Hören Sie bitte auf, diese Frau zu belästigen. Oder ich muss die Polizei einschalten." "Nein, nicht wirklich." Die Frau brüstet sich erneut, meckert, gestikuliert im Rücken des Beamten, schreit, präsentiert ihr hysterisches Wesen ausufernd. "Bitte entfernen Sie ihn, der ist doch total drauf. Mein schöner Computer,scheiße." Die Frau klaubt mit ihren lackierten Fingerspitzen einige Tastaturbuchstaben zusammen, erst ein T, dann ein O und sogar noch passenderweise ein D, womit die Sache für Roland immer schwieriger zu verstehen wird. Sein drogeninfiziertes Gehirn kann derzeit nur passive Schwäche demonstrieren und tut das auch, als hätte es niemals über ein erfülltes Leben nachgedacht.
Roland wird hochgezerrt vom Bahnmann und aus dem Abteil geschleift. Neben den besetzten Zugtoiletten drückt ihn der Bahnbeamte gegen die Wand. Dort spricht er ernst gemeinte Drohungen aus. Roland soll sich mal entspannen und so'n Zeug. Roland ist aber maximal gechillt, kommt grad, jetzt grad runter vom Trip der irrsinnigen Drogenmixtur und findet sich in der Realität und vor der stinkenden, schlecht rasierten Fresse eines Zugbegleiters wieder. Dieser bietet ihm schreiend und mit der hierzulande typischen Willkür eines Uniformträgers einen Platz in einem anderen Abteil an, das Roland dann während der ganzen Fahrt bis zum Zielbahnhof nicht mehr verlassen dürfe. Roland ist einverstanden und einfach nur zu schwach, um Widerspruch einzulegen. Wozu auch? Wogegen denn? Der Krieg, den es nie gegeben hat, ist verloren.
Dann sitzt Roland in einem Abteil, ganz allein. Der Zug gibt alles und metallisches Schleifen begleitet die Fahrt. Roland denkt. Denkt ganz unabgelenkt über das nach, was ihn erwartet, wenn er seine Eltern sieht. Es ist jetzt mindestens fünf Jahre her und er weiß noch, dass es Weihnachten war. Es war kalt, aber eher emotional als wetterbedingt. Die Mutter hatte alles gegeben, was in den Küchenschränken war. Essen gleich Liebe, die mütterliche Berechnung ging bei Roland nicht auf. Er mochte sie selten, die fettangereicherte "Kochkunst" der Mutter. Diese wollte ihn doch einfach nur körperlich aufbauen, den kleinen ach so schwächlichen Sohn. Die Mutter versuchte es mit gut gemeinten Worten, denen aber schon in Rolands Kindheit eine Sinnlosigkeit anhaftete. In Karla ist es dunkel. Die Frau ist zweifache Mutter, aber sie hat die soziale Kompetenz eines Einkaufswagens. Ihr Herz ist weit, aber sie ist unfähig, es wirklich aus reiner Liebe heraus zu entfalten.
Der Vater eine lebende Leiche. Der Inbegriff der Bankrotterklärung der sozialen Fähigkeiten. Ein Bauarbeiter, der an allem außer an sich arbeitet. Ein Mann gemacht aus Inkompetenz, Intoleranz und einer ausgeprägten Selbstmitleidigkeit. Ein Arbeiter mit tiefen Leiden resultierend aus der Unfähigkeit, die ihn umgebende Scheiße zu artikulieren oder wegzuräumen. In Hubert ist es dunkel. Der Mann ist zweifacher Vater, aber er hat die menschliche Kompetenz einer Kettensäge.
Das Abteil. Darin der Roland. Denkt altbekannte Gedanken. Allein. Es dreht sich alles. Viele Räder drehen sich ständig. Fortwährendes Gedrehe, während neben dem ganzen Gedrehe sanft gestorben wird. Nur das Schleifen von Metall auf Metall. Es vergehen Stunden und die Fülle der Gedanken sinkt ein wenig und nächster Halt: Haltestelle. Da muss Roland raus, aber so was von raus. Er blickt aus dem Fenster, sieht niemanden am Bahnsteig. Niemand steigt hier aus außer Roland, in der Hand seine blöde Tasche mit nutzlosen Dingen darin wie Geld, Cola und Unterwäsche. Das Dorf ist alt und kaputt, am Bahnrand Pflanzen und Pfützen, die keiner beachtet und schätzt. Ein einsamer Bahnangestellter in einem Tickethäuschen. Auf seinem Schreibtisch eine halb leere Flasche russischer Billigwodka und ein margarinegetränktes Schinkenbutterbrot. Er kaut nicht, schluckt nur, schluckt sie runter die Leidenschaft des Menschseins. Hier ist ein gottverlassenes Nest.
O-Ton Gott: Stimmt, dieses blöde Dorf interessiert mich so wenig wie die Menschen, die darin wohnen und teilweise sogar an mich glauben. Ihre Gebete drehen sich hier zumeist um ihr
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