Satt Sauber Sicher
Karlas Leben. Sie ist gereist. Ihr Bewusstsein hat sie begleitet. Nun fällt ihr Blick auf dies: Die Sonne scheint durch Hütten und die Wasserader ist scheinbar leer getrunken. Irgendwas, vielleicht auch alles hier, ist immer vergiftet. Die Natur biegt sich zurück in die Innenerde. Die Immerschoneinheimischen, die wirklich hierbleiben wollen, werden vom Bürgerkrieg missbraucht oder von fehlgeschlagener Entwicklungshilfe totgeschlagen oder schief entwickelt. UNICEF-Menschen und Ärzte ohne Grenzen toben sich hier aus und der Regen weint kein Lied.
Wüstenspringmäuse hetzen durch die Wüste und finden das einigermaßen in Ordnung, wie sie da so in ihren Löchern leben, in denen sie sich vergraben können, wenn es kalt wird. Den meisten Menschen hier geht es ähnlich und ob sie es in Ordnung finden, danach hat noch niemand gefragt. Maschinengewehrbehangene Minderjährige fahren in alten Autos durchs Dorf und geben sich rebellisch. Verballern unzählige Salven Munition in den sonnengetränkten Himmel. Die Patronenhülsen werden von anderen Kindern eingesammelt und zu weiteren Waffen verarbeitet. Mensch kann den Gewaltkreislauf förmlich riechen. Sand, Blut, Schande, Sünde, Abwegigkeiten und Zerschossenes am Wegesrand.
An irgendeinem Tag kam auch Karla hergereist. Hubert war unlängst an einem Herzinfarkt verblichen und Karla blieb einige Zeit allein, bis sich in ihrem Kopf eine flambierte Rotation entzündete. Nachdem Hubert gestorben war, saß sie die meiste Zeit unberührt in ihrem Sofa, Fernsehprogramme in sich saugend, eine innere Unterhaltung mit sich selbst vermeidend. Huberts unattraktive Leiche vergrub sie emotionslos auf dem Dorffriedhof. Karla war nun allein. Fräulein Tod hat sich bereits reichhaltig von ihrer Familie ernährt. Alle hat sie gefickt. Wo ist eigentlich Peter? Er war nicht auf der Beerdigung seines Vaters.
Karla weint nicht. Wieso auch? Was bringen Tränen außer Zeitverlust? Tränen ändern nichts. Es bleibt laut im Körper. Die kaputtritualisierte Karla verwickelte sich paranoid in sich selbst. Sie putzte sich die Finger blutig und die Dosen Scheuermilch, die sie sich an Samstagvormittagen reinzog, wurden allmählich höher. Und schon wieder was gespart: das Denken. Und so kroch die Zeit durch Fensterritzen und Karlas Alltagskummer gedieh in ihr.
Veränderungen. Nicht immer nur krank sein wollen. Nicht immer nur am Boden kleben und wegmachen, was am Boden klebt. Eine Frau hat doch Flügel, denkt sich die Karla, um sich danach einfach nur selbst auszulachen, denn das verdammte Leben hat sich, seit sie eine junge Frau war, von ihren Flügeln ernährt. Also sollten da jemals welche gewesen sein, sind sie ab und die alte Frau fühlt sich flugunfähig, aber nicht tot, auf keinen Fall tot. Nicht sterben, bevor nicht der Atem ausgeht, denkt Karla und das war ein guter Schritt in eine Zukunft, die noch gemalt werden sollte.
Veränderungen. Braucht so was der Mensch noch in Karlas Alter. Differenzierungen vom Restbestand der Gleichaltrigen. Freundinnen hat die Karla kaum, wohl so andere Frauen, die mit ihr Kuchen essen und Kaffee trinken, aber wirklich verstehen kann sie von diesen Menschen niemand. Da gibt es Besuche und Gerede übers Wetter und über die Gefährlichkeit des Islams und über Schlagermusik, die zu Herzen geht. Aber die Wut wächst, weil sich nichts verändert. Alles bleibt gleichbleibend stumpf.
Dann sah sie einen Beitrag in einer Spiegel-TV-Sendung, in der eine Frau während eines Afrikaurlaubs von einem Stammeshäuptling interessant gefunden wurde und jetzt alle Vorzüge eines Königinnenlebens im Inneren eines Zeltes zu haben schien. Dieser Gedanke infizierte Karla. Machte sie zur Prinzessin ihrer eigenen Ideenwelt. Das Gefühl von Macht breitete sich in ihr aus. Da war ja noch Huberts Lebensversicherung für den Flug. Genug Geld ist da. Für alles. Wann, wenn nicht jetzt? Wann? Jetzt. Einen Traum selbst zu entwickeln, machte auf Karla eine positive Wirkung. Sie fühlte sich von diesem Traum gefangen. Auch wenn kein Häuptling auf sie abfährt, die Braut eines Standardkriegers von Anfang zwanzig könnte sie doch allemal werden. Gedankenschemen durchdrangen Karla und es trieb sie ein krankhafter Handlungswahn.
Sie erinnerte sich an ein Sprichwort ihres Großvaters, wenn es um Konsequenz im Alltag des allmählichen Alterns ging: Es muss nicht nur der Mund gespitzt werden, es muss auch gepfiffen werden. So sagte es der alte Mann, konsequenterweise Nazi von 1933 bis 45 und
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