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Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Titel: Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacek Dehnel
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einiges gelesen; obwohl – der Pfarrer, der zur Mühle ging, als könnte er nicht die Haushälterin oder den Knecht schicken, ist schon meine Erfindung. Hauptsache, die Geschichte ist gut.

Javier spricht
    Habt ihr einmal einen balzenden Birkhahn oder Auerhahn gesehen? Wie er sich aufbläst, plustert, den Kopf hebt, den Schwanz ausbreitet, keine Ahnung hat, was um ihn herum geschieht, ganz auf sich konzentriert, nicht etwa auf das Weibchen, das im Grunde genommen rein zufällig ist? Wenn ja, dann habt ihr meinen Vater gesehen.

VIII
    Der Ziegenbock
    Hier, außerhalb des Kreises, hört man vor allem die Predigt: ein Meckern, aber kein monotones, eher ein ekstatisches, abgerissenes, das mit Mühe die Erregung verbirgt; doch kurz darauf erfasst das Ohr auch das allgemeine Rascheln: Da reibt Schenkel an Schenkel unter dem Leinen der Schürzen und Röcke.
    Diejenigen, die nicht in der ersten Reihe sitzen und nicht die fromm oder eher unfromm gefalteten Hände vorzeigen müssen, wühlen mit dicken Fingern in den kitzligen Winkeln des Körpers, zappeln auf der Erde herum, umfassen mit den Beinen einen Stein und reiben sich an seiner rauhen Fläche, keuchen, schnaufen, stöhnen. Sie schubsen mit den Ellbogen, schielen hasserfüllt auf die Nachbarin, fauchen. Jede von ihnen weiß, dass er sie alle besessen hat: diese nur einmal, jene mehrmals, Nacht für Nacht, die eine erwischte er noch im Flug, warf sie von ihrem Schürhaken und spießte sie auf den eigenen, die andere warf er in den Dreck und walkte sie im strömenden Regen dermaßen durch, dass es sie bei der bloßen Erinnerung noch heute juckt, wieder eine erwischte er in der Klosterzelle, eine andere im Karnevalsumzug – sie quiekte nur unter der Maske, als er ihr den Rock hochriss.

Jede von ihnen träumt davon, dass er sich noch einmal an sie heranmacht, die Beine spreizt, sie mit der behaarten Leiste kitzelt – aber sie wissen, dass sie alt und hässlich geworden sind, während er seine Geilheit bewahrt hat und wie früher nur die ganz Glatten, Jungen nimmt. Er könnte sie alle abweisen, die Kongregation in alle Himmelsrichtungen zerstreuen, aber er zieht es vor, sie zu quälen und zu verlocken, sich an ihrer Unersättlichkeit, ihrer Verehrung zu weiden, an ihren Eifersüchteleien und Zwistigkeiten.
    Jede von ihnen träumt davon, einst Ruhe zu erlangen, wie die rechtmäßige Ehefrau, die man respektiert, in reinstes Weiß gekleidet, mit einem Schleier vor den Augen (damit sie so tun kann, als sei der Bock ihr treu), bis zur Taille in fetter Erde vergraben (damit nur Maulwürfe, Regenwürmer und umherirrende Wurzeln sie kitzeln), unfruchtbar wie gekochtes Leinen.
    Doch er wird von ihren Träumen immer größer und schwärzer, bläst und plustert sich auf – alles für die blutjunge Postulantin, die ihre zarten Händchen in einem Muff verbirgt und jedes »mäh« zu verstehen sucht, jedes bedeutsame Glucksen seiner zügellosen Predigt; der schwarze Tüll des Schleiers verdeckt ihre Augen, aber er weiß schon Bescheid, er weiß, dass sie sich verguckt hat. Da ist nur sie, und dann lange, lange nichts.

IX
Javier spricht
    Am Tage der Hochzeit bekamen wir das ganze Haus in der Calle de los Reyes übereignet, und wenn auch noch eine Zeitlang die Sachen der Eltern in das bei dieser Gelegenheit von Grund auf renovierte und der gegenwärtigen Position meines Vaters angepasste Haus in der Calle de Valverde transportiert wurden, so waren wir doch für uns. Aber sie schauten fast jeden Tag zu allen möglichen Zeiten bei uns vorbei, zu zweit oder einzeln. Mutter mit dem neuesten Klatsch, neben ihr das Dienstmädchen mit einem Korb, darin Zitronen, ein Perlhuhn oder reife Melonen. Vater mit Farbe beschmutzt, verschwitzt, direkt aus dem Atelier. »Ich bin gekommen, damit ihr mir hier nicht völlig versauert«, sagte er. »Den ganzen Tag zu Hause! Ihr könntet zu einer Zarzuela gehen, zum Picknick an den Manzanares fahren oder euch die Parade der Regimenter des Wurstmachers Godoy ansehen, statt in diesen stickigen Zimmern zu sitzen.« Er machte es sich bequem und erwartete nicht einmal, dass wir ihm etwas ins Notizbuch schrieben; manchmal holte er es übrigens gar nicht aus der Tasche; er wollte einfach reden. Gumersinda setzte sich nolens volens ihm gegenüber und hörte sich den Wortschwall an – anfangs eher unwillig, dann immer williger.
    Was hat er ihr nicht alles erzählt! Dass er in Rom bei einem Polen und einem verrückten Italiener gewohnt habe, der für Geld Ruinen

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