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Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Titel: Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacek Dehnel
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zeichnete und zum Vergnügen – Gefängnisse; und dass er sich aus Geldmangel als Straßenakrobat durchgeschlagen habe; durch den Polen habe er einen geheimnisvollen Russen kennengelernt, einen Geheimen Hofrat, der ihn auf Knien anflehte, ihm in sein frostiges Reich zu folgen und dort der Maler der grausamen, in pelzbesetzte Goldgewänder gekleideten und ausschließlich rohes Fleisch essenden russischen Zaren zu werden.
    Man muss ihn gesehen und gehört haben, wie er sich im Sessel ausbreitete, wie er Fratzen schnitt, sich auf die dicken Schenkel klopfte, wie er sich ereiferte beim Erzählen, immer lauter redete, bis er fast schrie, wie er mich vollkommen ignorierte und manchmal eine geschlagene Stunde – ich habe es mit der Uhr in der Hand überprüft – nicht in meine Richtung schaute, wie er derbe Wörter gebrauchte, die ich in Gesellschaft einer Frau nie in den Mund nehmen würde, schon gar nicht, wenn es die eigene Frau wäre. Es nahm kein Ende. Er versäumte auch nie die Gelegenheit, mich zu verspotten oder mir in Erinnerung zu rufen, dass ich alles, was ich besaß, ihm zu verdanken hatte, allein ihm.
    »Ich klettere«, sagte er, »ganz auf die Spitze des Petersdoms, total gebückt gehe ich, so, seitlich, es wird enger und enger, unten der Abgrund, wenn jemand ausrutscht, bleibt nur ein nasser Fleck auf dem Marmor, aber wenn man jung ist, hat man eben Mut …, nicht jeder übrigens, ich kann mir nicht vorstellen, dass dein süßes Klößchen sich solch einer Gefahr aussetzen würde …, ich weiß nicht, ob er überhaupt nach Italien fährt, obwohl ich schließlich dem König nicht umsonst alle Platten der Caprichos übergeben habe, im Austausch gegen eine Leibrente für meinen Javier, der dadurch reisen und sich bilden könnte, soviel er wollte …, aber lassen wir das, ich klettere weiter, da fliegt mir eine Taube entgegen, ich weiche aus, und der Sold fällt mir aus der Tasche und rauscht in die Tiefe! Ins Unendliche scheinbar, ich höre nicht einmal das Klirren. Donnerkeil! Ha, da unten kriegt sicher ein Bettler ganz plötzlich wieder Kraft in die Beine und rennt dem Geld durch die halbe Basilika hinterher. Wohl bekomm’s, denke ich im Stillen, trink ein Viertel auf meine Gesundheit, damit ich heil wieder runterkomme. Schließlich bin ich ganz oben, ziehe den Stichel heraus und schreibe unter die Kuppel: Fran. Goya . Wenn du dir also die Frage stellst, Kleine, wessen Name an der höchsten Stelle des höchsten Gebäudes der gesamten christlichen und heidnischen Welt steht, dann antworte ich dir bescheiden: der Name deines Schwiegervaters, der in seinem Leben ein paar Bilder gemalt und euch dieses Haus geschenkt hat und jetzt gerade vor dir sitzt und mit Vergnügen eine Schokolade trinkt.«
    Und gleich darauf erzählt er, wie er mit Toreros, die ihm die größten Geheimnisse der Corrida beigebracht hätten, nach Rom gefahren sei, schon stürzt er sich auf einen Stuhl, sagt, ich solle ihn hochheben und einen Stier mimen, damit er, mit dem Schürhaken in der Hand, zeigen kann, wie er in der Arena geglänzt hat, als er jung war. Mit Sicherheit lässt er sich auch nicht die Gelegenheit entgehen, zum soundsovielten Mal zu erwähnen, dass ich als Vierjähriger vor einem Frosch erschrocken sei, was ihn in dem Glauben bestärkt habe, dass ich wohl nie Torero werden würde. Und wenig später bekommt Gumersinda zu hören, wie er sich einmal in eine junge Nonne verliebt und beschlossen habe, sie aus dem Kloster zu entführen – er hatte zu diesem Zweck schon ein ordentliches Seil gekauft, hätte die Wächter getäuscht, wäre auf die Mauer geklettert und an sein Ziel gelangt, aber die Tochter des Seilmachers erwies sich als so hübsch, dass er sich die Nonne schenkte.
    »Mitternacht? Tatsächlich!« Er tat erstaunt, als ich ihm schrieb, dass Gumersinda vor Müdigkeit fast umfalle und endlich Ruhe brauche. »Da hab ich bei euch ganz die Zeit vergessen, Kinder!« Und er stand auf, stöhnte schwer, schielte herüber, als hätte ich die heiligen Regeln der Gastfreundschaft verletzt, und machte sich langsam auf den Weg – um schon am nächsten Tag wieder aufzutauchen und weitere Geschichten zu erfinden: von der stolzen Tirana, von Fürsten und Fürstinnen, von Kutschen und Jagden, davon, wie viele Wacholderdrosseln er hier und wie viele Hasen er dort erlegt habe, und dass ihm in ganz Madrid bis heute kaum einer das Wasser reichen könne, was das Schießen auf zweihundert Schritt betreffe; gegen ihn war kein Kraut

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