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Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Titel: Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacek Dehnel
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warum sie noch nicht schlafen gehen wollte, sondern sich sein Gefasel über Stierkämpfe, über die Gewohnheiten der Monarchen und die Absonderlichkeiten der Herzogin von Alba anhörte – war das nur Höflichkeit oder vielleicht mehr? Eine Bindung, ein Liebeskomplott?
    Aber wem kann man solche Verdächtigungen anvertrauen? Nicht einmal sich selbst, ganz zu schweigen von anderen. Wahrscheinlich nur dem Schilf am Ufer, dem Stein, dem Löffel. Geduldigen Gegenständen. Und so ging ich durchs Haus, von Zimmer zu Zimmer, und konnte nirgends Ruhe finden. Es kam vor, dass ich halblaut zu den Büchern, zu den Hockern, zum Kissen oder zum Leuchter sprach. Ich wollte zur Beichte gehen – aber kann man denn die Sünden anderer beichten? Höchstens die Unangemessenheit des eigenen Verdachts. Doch ich wusste schließlich nicht, ob er unangemessen oder, im Gegenteil, nur allzu angemessen war. Weder Haus noch Stadt, weder die Wiesen noch die Wälder außerhalb, wo ich lange Spazierfahrten unternahm, konnten mir etwas erklären. Der Sommer war auf dem Höhepunkt, üppig, alles reifte und trug Früchte: Schwer fielen die Trauben in die Körbe braungebrannter Frauen, die Pflaumen platzten vor Saft, wie zum Hohn – und ich, der ich in Madrid aufgewachsen war, wurde plötzlich zum Gast, zum Fremden, den der Wind und die Verzweiflung von einem Ort zum anderen trieben.
    Indessen wuchs der Bauch, und in ihm reifte etwas heran, das ich lieben, jemand, den ich lieben sollte – doch ich empfand gegen diesen harten Ball, gegen diese unnatürliche Wölbung von Tag zu Tag größere, an Hass grenzende Abneigung; am liebsten hätte ich schon hineingeschaut, um zu prüfen, ob dieser Jemand seine oder meine Augen habe, schwarzes oder braunes Haar, scharf nach oben gezogene oder sanft abfallende Brauen. Ich konnte sie nicht ansehen, und zugleich konnte ich den Blick nicht losreißen von der immer auffälligeren Krümmung ihres Bauches. Ich hörte auf, mit ihr zu sprechen, aber auch sie sprach nicht mehr mit mir; und wieder quälte ich mich – war der Grund dafür die Empfindlichkeit ihrer Gefühle, oder kam es von der Abneigung gegen mich und von den Gewissensbissen, weil sie unsere Laken mit dem verruchtesten Verrat beschmiert, sie auf diese scheußliche Art beschmutzt hatte?
    Manchmal geriet aus unerfindlichen Gründen mein Blut so in Wallung, dass ich mitten im Satz vom Tisch aufstand, mich vor meiner Frau verneigte und an die frische Luft ging, weil sich sonst aus meinem Mund wie schwarzes Spülwasser die ekelhaftesten Wörter ergossen hätten, auf die Tischdecke, auf die Schüsseln gespritzt wären, und stinkende Galle die Kerzen gelöscht hätte. Ein andermal hatte ich den Eindruck, sie sei zärtlich und feinfühlend zu mir, aber sofort fragte ich mich, ob das nicht ein raffiniertes Spiel sei, das mir den Kopf vernebeln sollte. Ich war verloren. Erleichterung fand ich nur darin, die Wochen und Tage bis zur Geburt zu zählen.
    Endlich kam der Nachmittag, da wir schnell nach einer Hebamme schickten und ich mit dem Diener den alten Gebärstuhl vom Dachboden herunterschleppte, der noch aus der Calle del Desengaño stammte und aus offensichtlichen Gründen nicht in die Calle de Valverde umgezogen war; in diesem Stuhl bin ich auf die Welt gekommen – und außer mir sechs meiner Geschwister, die inzwischen die unersättliche Zeit verschlungen hat.
    Ich saß in der Bibliothek, hatte die Füße auf den Holzständer am erloschenen Kamin gestützt und ertappte mich dabei, dass ich eine gewisse Freude empfand, als ich Gumersindas Schreie hörte; der Gedanke beschämte mich, ich wollte mich sofort wieder ans Lesen machen, aber es war unmöglich. Der Lärm und meine sich jagenden Gedanken ließen keine ruhige Lektüre zu – und gleich darauf kam auch schon das Dienstmädchen gelaufen und rief: »Ein Sohn, ein Sohn, mein Herr, Sie haben einen Sohn!« Wie vom Blitz getroffen schoss ich in die Höhe, der Stuhl kippte um, und ich rannte nach oben. »Ein Sohn«, schrie ich, »zeigt mir den Sohn!« Die Hebamme reichte mir das Bündel, das kleine Päckchen, in dem ein Kind lag, wie ein Ei dem anderen nicht mir, sondern meinem Vater ähnlich.
    »Eine seltsame Ähnlichkeit mit dem Großvater«, sagte ich mit ernster Stimme, mit Nachdruck, so dass Gumersinda ein Auge aufschlug, »interessant, interessant …« – »Ach wo, was soll da interessant sein«, protestierte die Hebamme sofort, die Mutter und Kind die Kissen zurechtmachte, »das Kind kommt immer mehr

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