Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)
sprechen, aber wie von fern, wie aus einer anderen Zeit, denn hier vor mir, auf der mehr als vier mal vier Fuß messenden Leinwand, tauchte die große Gestalt auf – nein, nicht die des Riesen, sondern die der ganzen Vision, farbig, fast in Bewegung; wie groß mag Gumersindas Überraschung gewesen sein, als sie auf der Treppe nach oben kam, um Laken zu holen, und das Geräusch der Staffelei hörte, als sie weit die Tür öffnete und ihren Gatten in diesem zerzausten Zustand, in Hemd und Kittel ein Bild malen sah. Hatte sie jemand anderen dort erwartet, jemand, der gerade nicht im Haus war, der aber Stunde um Stunde vor der Staffelei stand, Tag für Tag, wenn er nicht gerade jagte, aß oder sich an eine Frau ranmachte? Ich weiß nicht. Doch als sie mich sah, legte sie die Hand an den Mund und zeigte mir, gleichsam unwillkürlich, den Schlüssel zum Schrank mit den Laken, worauf sie sich umdrehte und ging.
Und ich arbeitete weiter und spürte zum ersten Mal im Leben, dass ich wirklich malte; danach fiel ich ins Bett, müde wie ein Wasserträger, verschwitzt, klebrig, die Hände mit Farbe verschmiert, obwohl ich bemüht gewesen war, möglichst sauber und ordentlich zu malen; der Riese hatte alle Kraft aus mir gesogen – ich hatte ihn geschaffen, aber nicht aus dem Nichts: aus einem Lebensfluidum, das bewirkte, dass er an Kraft gewann und ich schwächer wurde.
Am nächsten Tag zog ich mich nicht einmal richtig an, warf mir nur Hemd und Kittel über und stürzte ins Atelier; Gumersinda hieß ich die Kleider von gestern wegbringen, damit sie keine Flecken bekämen, wenn ich an der Leinwand wütete. Einige Pinsel waren total eingetrocknet – hatte ich mich doch liederlich aufs Bett geworfen, ohne aufzuräumen; aber andere waren noch zu gebrauchen, und so holte ich nun, mal mit dicken Pinseln, breit wie Bürsten, mal mit stöckchendünnen den Koloss aus dem Dunkel. Die verschiedenen Farbschichten formten nacheinander den großen, athletischen Körper, der mit den riesigen Muskeln immer runder wurde und allmählich drei Dimensionen bekam; auf der einen Seite das fette, kupferne Glitzern auf der dunklen Haut, auf der anderen die dunklen Schatten und die verworrenen Zotteln auf dem Kopf; der Sohn der Erde, in seiner ursprünglichen Kraft, überragt die Gipfel der Pyrenäen und zeigt den Franzmännern, wer hier das Sagen haben wird, wer wem den Hintern versohlt, wer wem nicht das Wasser reichen kann.
Am Nachmittag schickte Vater, der irgendwo in der Stadt arbeitete, seinen Gehilfen Asensio Juliá; er sollte ihm ein wenig Siena, Terpentin und Leinöl bringen; Juliá kam herein, nickte mir zu und machte sich daran, die Schubladen und die Regale zu durchsuchen, doch während er so wühlte, sah er plötzlich auf, als sei ihm gerade bewusst geworden, dass ich male. Javier Goya, das Gespött aller, der Maler, der kein einziges Bild gemalt hat, steht im Kittel an der Staffelei, vor einer etwa vier mal vier Fuß großen Leinwand, und malt nicht nur, nein, er erschafft ein riesiges Denkmal, einen Giganten, der bei der Großen Armee solche Panik auslöst, dass er sich mit dem Gesicht nicht einmal zu den Zinnsoldaten umdrehen, sie weder mit eiserner Hand zermalmen noch wegblasen muss; seine bloße Anwesenheit genügt, die Schultern, breit wie ein Gebirgskamm, die Faust, groß wie ein wütendes Haus.
XI
Francisco spricht
»Dein Junger malt«, schrieb Juliá mir auf einen Zettel. Und ich sage: »Was faselst du denn da, Fischersmann?«, denn so nannten wir ihn, weil sein Vater Fischer war. Aber er schreibt mir: »Ich fasele nicht, er malt.« – »Was?«, frage ich, denn was konnte der schon malen? Was konnte das sein? Ich fragte mich wirklich, was der malen konnte, der Faulpelz, der den ganzen Tag auf dem Bauch lag wie ein Weib und dessen ganze Arbeit darin bestand, die Seiten im Buch umzublättern? »Geh und schau«, schrieb Juliá. Also ließ ich mich in die Calle de los Reyes bringen. Ich klopfe an die Tür, ein neues Dienstmädchen macht mir auf und murmelt irgendwas. Ich frage: »Wo ist der Herr?«, und sie brummt wieder etwas und will mich nicht reinlassen – ich hab sie fast angetatscht in dieser Tür. Aber es war keine Zeit, also schnappe ich sie nur am Arm, in der Nähe der Titten, und sage: »Ich bin der Vater des Herrn, und jetzt zeig mir, wo er ist, statt zu reden, ich kann schwatzhafte Weiber nicht ausstehen.« Da war sie still und zeigte aufs Atelier. Ich lief hinauf, zwei Stufen auf einmal, hab ja immer noch Mumm in
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