Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)
reden; wenn einer kräftig ist, und manche beklagen sich ja nicht über mangelnde Kraft, kann er sogar zum Fenster stürzen und schreien: »Mord, Hilfe, Vatermord, der eigene Sohn hat die Hand gegen mich erhoben!« Mit dem Degen, müsste man hinzufügen; mit der bloßen Hand könnte ich nichts bewirken. Und schließlich die Pistole – damit geht es zumindest schnell; aber leider bin ich ein lausiger Schütze, und ich sehe schon, wie das Drama sich in eine Farce verwandelt: Die Kugel im Kopfteil des Bettes, sie springen heraus, zwischen den Beinen baumelt dieses Etwas, einer schützt sich mit dem Stuhl, einer wirft mit der vom Tischchen gerissenen Schüssel, eine weitere Kugel trifft an eine blöde Stelle, in den Unterarm, ins Ohr, in den Zeh, mühsam gebe ich ihm den Rest, von unten kommt das Personal gerannt, klopft an die abgeschlossene Tür, Mutter wird aus dem Schlaf gerissen, aus ihrer unschuldigen Siesta. Nein, das brauchte ich nicht. Da war mir die Unmittelbarkeit des Messers oder Degens schon lieber.
Ich habe mir das tausendmal vorgestellt. Während ich mit ihnen frühstückte oder zu Abend aß. Bei der Messe in der Kirche, während der Predigt, unterbrochen nur durch die Elevation; beim Picknick, wenn ich sah, wie der Alte mit den Daumen eine Orange zerriss und je die Hälfte Mutter und Gumersinda gab – und im selben Moment mit einer Fontäne von Blut die am Bett stehende Staffelei (ich weiß nicht warum, dort stand sie nie) und damit sein – wie sich herausstellen sollte – letztes Bild bespritzte. Ein total misslungenes Bild. Er sagte: »Was sitzt denn unser Klößchen so still da?«, und ich lächelte, zuckte die Achseln und betrachtete gleichzeitig in aller Ruhe, mit der Aufmerksamkeit des Forschers, die dreiundzwanzig großen, schon bläulich schimmernden Dolchstiche, mit denen ich ihn dreiundzwanzigmal an den Strohsack nagelte, an den er zuvor Gumersinda genagelt hatte, mit einem ganz anderen Werkzeug, das ebenfalls, jämmerlich verstümmelt, in dieser abstoßenden Szene seinen Platz hatte.
Aber die bequemen Lösungen der Traumphantasien kommen in der Wirklichkeit höchst selten vor. Was für ein großartiger Beweis – die beiden in flagranti im Ehebett meiner Eltern oder in meinem oder auf irgendeiner Pritsche, einem Heuhaufen –, was für ein Luxus, was für ein Geschenk des Schicksals. Und was hatte ich? Nichts als Vermutungen – und Phantasien. Sparsam erleuchtete Szenen auf dunklem Hintergrund, wo sich eine kaum zu sehende, zierliche junge Frau, deren rötliches Haar nur schwach golden aufblitzt, in den Falten des graphitfarbenen Lakens wälzt (Weiß nimmt in der Nacht die Farbe von Graphit oder mattem Basalt an), zusammen mit einem großen, blassen, wild mit Borsten bewachsenen Körper. Doch wer wollte diese immer wiederkehrenden Träume, diese zu jeder Tages- und Nachtzeit vor Augen stehenden Bilder als Beweise bezeichnen? Wenn ich sie loswerden wollte, so schaffte ich das nur mit Hilfe anderer, stärkerer Phantasien: ein Blutbad im Schlafzimmer, ein Degen in diesem Körper, in beiden Körpern, das Herausziehen des Degens, das Abwischen des Messers mit dem Rand des Lakens.
Francisco spricht
Furchtbar, wie dieser Junge versauerte. Furchtbar. Keinen Ton brachte er heraus, aus dem Haus gehen wollte er auch nicht, mit Mühe stand er vom Sessel auf und nickte mir zur Begrüßung zu. Vielleicht sollte er wegfahren, sage ich zu Gumersinda, sich ein wenig ablenken – ein bisschen jagen, ein Stück von der Welt sehen, etwas Gutes essen außerhalb von Madrid, wo ja alles etwas schwer ist und auf dem Magen liegt … Ist das vielleicht das Alter? Früher habe ich ein ganzes Huhn gegessen, eine Flasche dazu ausgetrunken, obendrauf ein Stück Chorizo, in Rotwein gekocht, Obst, Pasteten, zwei Gläschen von dem starken aus Jerez, und ich konnte bis zum Morgengrauen feiern, tanzen und herumtollen. Und jetzt esse ich ein paar Scheiben Schinken, fühle mich voll und muss mich hinlegen, ein Nickerchen halten. Aber nicht, wenn ich mit Martín auf der Jagd bin … Ach, dann esse ich für zwei, und zu zweit essen wir für vier, offensichtlich bekommt mir die frische Luft, vielleicht sollte ich endlich wie die großen Herren ein bisschen Geld zurücklegen und mir am Ufer des Manzanares etwas kaufen, mein eigenes Obst und Gemüse pflanzen, wie unsere Väter und Großväter?
Javier spricht
Was geboren wurde … ist gewachsen. So jedenfalls sehe ich es heute, denn aus vielen Jahren meines Lebens erinnere
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