Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)
verschreckte Frau, die nicht gewusst hätte, wie sie ihr Kind ernähren soll – hätte nicht Gumersinda sich von meinen Eltern überreden lassen und sich ihrer erbarmt.
Aber all das geschah gleichsam hinter der Tür, in einem anderen Raum, in dem der Rest der Welt existierte. Ich glitt über die Oberfläche des Lebens, über die Oberfläche des Krieges wie über einen zugefrorenen Teich, passierte die Tage rasch und ohne überflüssige Anstrengung. Ich zu sein war zu ermüdend, als dass ich mich noch mit irgendetwas anderem hätte beschäftigen können.
Wenn es mir besserging, schaute ich. Ich notierte mir alle möglichen Dinge, manchmal riss ich die Blätter aus dem Skizzenbuch, manchmal ließ ich sie drin: Wörter mischten sich mit Bildern, mit nervösen Zeichnungen der gewöhnlichsten Gegenstände; selbst ein Salzfässchen, wenn man es entsprechend zeichnet, scheint entsetzt zu sein von der Welt.
Die Pinsel rührte ich nicht an, ich ekelte mich vor ihnen. Ebenso vor den Farben. Sie widerten mich an wie geronnenes Blut, wie die verstreuten Schienbeine, wie die abgeschnittenen Finger.
Dafür blühte der alte Esel auf. Und malte ununterbrochen.
Francisco spricht
Der Maler ist nicht dazu da, den König zu wählen, Vermögen zu verteilen, Macht auszuüben, Heere zu führen – seine Macht ist unscheinbar und beschränkt sich auf ein paar Ellen geweißte Leinwand, auf denen er diejenigen malt, die stärker sind als er: Hexen und Generäle, Teufel und Mächtige, in deren Händen er ein ergebenes Spielzeug ist. Die einen können ihn ins Gefängnis werfen, ins stachlige Innere einer Eisernen Jungfrau sperren, verurteilen und verbrennen, die anderen – mit Versuchungen bedrängen, die schrecklichsten Krankheiten schicken, den Lebensmut nehmen, die Kraft aus den Lenden saugen, das Kindchen im Schoß der Frau ersticken, die gute Karte wenden.
Lacht ruhig über die Kerker der Inquisition, über kreischende Generäle, über das Geschwätz alter Weiber von Hexen – aber wundert euch nicht, wenn dieses Lachen euch in trügerische Reviere führt. Lieber auf beiden Hochzeiten tanzen, bei den Fürsten und bei den Hexen, und zur Beruhigung des Gewissens ab und zu die Autoritäten und den Zauber ein bisschen anschwärzen, aber so geschickt und schlau, dass das Böse nicht merkt, was los ist.
Javier spricht
Hat er den alten gehörnten König gemalt, seine liederliche Frau mit dem Habichtsgesicht und Godoy, den verfressenen Wurstmacher, auf Steinen ausgestreckt? Ja, das hat er. Und den neuen König Ferdinand, der die ganze Gesellschaft vertrieben und sich auf den Thron gesetzt hat – hat er den gemalt? Nicht nur einmal! Ist er nach Saragossa gefahren, hat Leinwände für Scharpien abgegeben und den heldenhaften Verteidiger Palafox porträtiert? Ja, das hat er. Aber den Orden vom französischen König hat er auch angenommen. Und am 3. Mai trippelte er nachts auf den Hügel, um die noch warmen Leichen der Erschossenen zu skizzieren, weil ihm das von Nutzen sein könnte. Und es war von Nutzen. Als später vier Bilder über den Aufstand bei ihm bestellt wurden, kamen die Zeichnungen wie gerufen. Auch Wellington hat er gemalt, wie Palafox zu Pferd, übrigens auf dem noch feuchten Bild Bonapartes – und eines hatten die Porträts der alten Königin, des englischen Generals und des Herzogs von Saragossa gemeinsam: Das Pferd sah jedes Mal furchtbar aus. Goldene Tressen, Schärpen, Gesichter, die Brust unter dem Musselin, den Hals eines gerupften Perlhuhns – all das malte er tadellos. Aber die Pferde sehen aus wie zu große Hunde.
Ein anderes Porträt von König Flasche bestellte ein Abgeordneter aus Peru, der Ratsherr von Madrid geworden war; Vater rümpfte ein wenig die Nase, aber als er erfuhr, dass Joseph Bonaparte mit dem ganzen Hof nach Andalusien fahren und bei ihm im Atelier nicht persönlich erscheinen würde, ließ er sich einen Kupferstich mit dessen Porträt bringen, takelte es in Windeseile in einem Medaillon auf, und unter sowie über das Medaillon malte er, was das Herz begehrt: Engel, Ruhm, der in die Trompete bläst, Sieg mit goldenem Kranz, ein Mädchen mit Krone als Allegorie von Madrid mit dem Wappen auf dem glänzenden Schild, kurz: den ganzen schönen Schein und Prunk, den alle kleinen, an der Zitze der Macht klebenden Menschen so lieben.
Doch kaum hatte Wellington Madrid eingenommen, kleisterte der alte Dachs Bonaparte zu und schrieb ins Medaillon Constitución . Es ging alles schnell, denn bald kam
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