Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)
Bonaparte zurück, und er musste ihn wieder malen; er hatte Glück, dass er, in einem Stapel von Papieren verbuddelt, die zum Anfeuern des Kamins bestimmt waren, noch den Kupferstich mit dem Porträt fand. Doch es vergingen kaum ein paar Monate, da schlug Wellington bei Vitoria den französischen Säufer, und der Alte befahl so einem Pimpf aus dem Atelier, Dionisio, Joseph zu übermalen und wieder Constitución anzubringen. Kaum war Ferdinand zurückgekehrt und hatte die Verfassung abgeschafft, mussten sie die Inschrift wieder verdecken. Zuletzt war dort Ferdinand, diese Kröte, aber angeblich soll wieder etwas geändert werden.
XIV
Javier spricht
Ich hatte den Eindruck, er würde schwächer – taub war er ja schon lange, aber allmählich ließen auch seine Augen nach, und er musste sie zusammenkneifen, wenn er sich über eine Kupferplatte beugte und die Bewegung des Stichels verfolgte. Doktor Arrieta gab mir zu verstehen, es würde wohl nicht mehr lange dauern. Welch ein Irrtum.
Er nörgelte immer häufiger, eigentlich ununterbrochen; sogar Mutter ging langsam die Geduld aus. Sie kam zu mir in das Eckzimmer, in dem ich ganze Tage verbrachte, angekleidet oder auch ungepflegt im Schlafrock, und begann mit ihrer Litanei über meine Faulheit, die Krankheit, über dieses Klosterleben – aber in all dem lag auch ein Ton von Müdigkeit und Unsicherheit. Sie griff Vater nie direkt an, aber seine Zornesausbrüche, seine Untreue und seine ständigen Vorwürfe an die ganze Welt waren ja allen bekannt.
Nur einmal hörte ich von ihr eine wirkliche Klage; ich kam damals in die Calle de Valverde, Vater war nicht da, er war zur Jagd gefahren oder malte irgendwo außerhalb von Madrid, und sie war schon den zweiten Tag mit dem Frühjahrsputz beschäftigt. Ja, es muss beim Frühjahrsputz gewesen sein, denn nur bei dieser Gelegenheit, einmal im Jahr, willigte Vater ein, dass das Atelier aufgeräumt wurde. Danach hörte man noch tagelang, wie er stöhnte, schimpfte und brüllte, wenn er einen Pinsel oder Stichel nicht finden konnte; in diesem Chaos war es zwar ohnehin schwierig, etwas zu finden, aber nach dem Putzen hatte er jemanden, dem er die Schuld geben konnte. Wir standen im Flur, an der Tür zum Atelier, und schauten zu, wie das Dienstmädchen Schmutz, Farbkrümel, alte Lappen und den weißen Staub herausfegte, der in kleinen Wölkchen über dem Fußboden schwebte.
»Das kommt alles davon«, murmelte Mutter, »von diesem weißen Staub.« Ich sah sie an und fragte: »Was? Was heißt alles?« Sie strich über eine Falte am Ärmel und erwiderte: »Alles eben; dass wir die Kinder begraben mussten, die Fehlgeburten; dass du so schwächlich bist. Und andere Dinge, an die ich gar nicht denken mag. Mein Bruder, dein Onkel Francisco, kannte sich damit aus; er war zwar Künstler, aber er interessierte sich für Chemie, brachte Bücher mit, sogar aus Frankreich, und erklärte mir das, deinem Vater übrigens auch, er schrieb ihm auf Zettel, weil er damals schon …, das war, nachdem er aus Cádiz zurück war, durch ein Wunder geheilt, aber taub … Nur dass dein Vater sich nicht darum scherte. Bleiweiß und Zinnober. Zinnober, das waren winzige Mengen, aber Bleiweiß, wieviel von diesem Bleiweiß verbraucht wurde, Arroba für Arroba! Du kannst dich wahrscheinlich nicht mehr erinnern, wie Vater an den Teppichkartons für den König arbeitete, das waren riesige Leinwände, sechs Ellen breit, oder vier oder fünf, unterschiedlich, drei Jungen brauchte man zum Ausbreiten, Leimen, Grundieren, Schleifen, zum zweiten Grundieren, zweiten Schleifen … Überall war Staub, im Zimmer auf den Regalen und in den Schubladen, in der Küche auf den Töpfen und Pfannen, die an der Wand hingen, und zwischen den Tellern, die in der Kredenz standen; überall, überall Staub. Er durchdrang die Flure und Zimmer, legte sich hin, wo er wollte, er ging in die Augen, ins Haar, in die Nase, von morgens bis abends war er zu riechen. Noch eine Strapaze, die man ertragen muss, wenn man mit einem Maler unter einem Dach lebt, dachte ich damals, dabei war ich ja daran gewöhnt; wenn man drei Brüder hat, die Maler sind, hält man auch noch einen malenden Mann aus. Erst später sagte mir Paco, dass das Gift ist, dass man an Bleivergiftung sterben kann, an Saturnismo … Er sagte, ich solle alle kupfernen Töpfe wegwerfen, in denen das Zinn abgerieben ist, einen nassen Lappen an die Tür der Werkstatt hängen, aber was hätte Vater gesagt, wenn man einen nassen Lappen
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