Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)
an die Tür hätte hängen wollen, kannst du dir das vorstellen? Außerdem arbeitete er damals nicht mehr an Tapisserien, die friedlichen Szenen mit den Tänzen, Sonnenschirmen und Herbergen langweilten ihn, so große Leinwände brauchte er nicht mehr.«
Sie sagte das, als redete sie über die Schwierigkeiten mit einem früheren Dienstmädchen oder von einem Möbel, das trotz der Reparatur knarrte – von einer kleinen Unannehmlichkeit des täglichen Lebens. Erst gegen Schluss kippte ihre Stimme, als sie sagte: »Das Haus ist ein Grab für die Frau. Aber muss es auch das Grab für fast alle ihre Kinder sein?« Und sie nahm mich an der Hand. Mich, den einzigen, der das Schleifen der Leinwände durch drei angeheuerte Burschen überlebt hatte.
Francisco spricht
Ein müßiges oder leeres Leben habe ich nie gehabt – ich habe immer geschuftet wie ein Pferd, für Vergnügungen hatte ich keine Zeit. Man soll sich nicht täuschen: Das Leben ist ein peinliches Klistier. Dennoch habe ich, als ich auf die Siebzig zuging, begriffen, dass mir ganze Jahre zwischen den Fingern zerronnen sind. Immer habe ich alles für andere getan, für mich, für meine eigenen Freuden, hatte ich nie Zeit. Wenn ich auf der Jagd war, musste ich bald zurückkehren, um irgendeine bescheuerte Gräfin zu porträtieren; wenn ich ein Mädel an die Wand gedrückt hatte, musste ich mich schnell wieder an ein Bild machen, weil das Haus kostete, der Kammerherr drängte und Pepa, auch wenn sie es nicht sagte, schon auf sechs Meter Brokat für ein neues Kleid wartete. Es zieht im Kreuz, ich pisse tröpfchenweise, aber der alte Paco mit den Eselsohren nimmt den Wagen und zieht, weil er ihn immer gezogen hat, von klein auf, schon als Knirps: eine Schule, die zweite Schule, Porträts, Tapisserien, die Farbe stimmt nicht, die Komposition stimmt nicht, das Kleid nicht fein genug, das Gesicht nicht hübsch genug, obwohl es in Wirklichkeit eine Visage ist, dass ich mir vorkomme wie ein Grabschänder, der einen Sarg aufmacht und eine verfaulende Leiche sieht … Aber was soll’s, ich male, überarbeite, verbeuge mich und strecke die Hand nach dem Geld aus, und am linken Ohr sitzt ein Blutegel, am rechten ein zweiter, und die nächsten warten schon darauf, sich festzusaugen. Was soll’s, der alte Paco ist aus ordentlichem, gut gegerbtem Leder und hat sich noch nicht abgenutzt. Aber altes Leder muss man, damit es nicht völlig aufscheuert und zerbröselt, pflegen, muss es einschmieren und salben. Und nichts tut ihm so gut wie ein bisschen junger Speck.
Und genauso war sie – nicht dick, nicht schwabbelig, aber mit ein bisschen Speck hier und da, wo Frauen ruhig ein paar Röllchen haben dürfen: der Hintern wie eine süße Birne, die Brüstchen wie Äpfelchen, die Muschi wie ein Pfläumchen, ein Fruchtkörbchen, keine Frau! Ich konnte in sie reinbeißen, saugen, schlecken, schlotzen, bis mir der Saft das Kinn runterlief, bis ich die Süße auf dem Gaumen spürte … Sünde hin, Sünde her, seien wir doch ehrlich: Ist es wirklich so schwer, hier einen Fingerzeig Gottes zu sehen? Wie hoch standen die Chancen, dass ein morscher Baumstumpf, gut sechzig Jahre alt, taub, leidenschaftlich vielleicht, ein Weiberheld, aber machen wir uns nichts vor, hässlich, denn was konnte an diesem aufgedunsenen, faltigen Körper schön sein, an diesen grauen Borsten auf der Brust, an dieser immer höheren Stirn, diesem immer schlafferen Mund, kurzum: Wie standen die Chancen, dass ein alter Knochen wie ich ein hübsches, bildhübsches Mädchen in sich verliebt machen konnte, eine junge Frau, aus dem Haus geworfen von ihrem Mann, der von Bordell zu Bordell gezogen war, ihre ordentliche Mitgift durchgebracht hatte und jetzt die Frechheit besaß, ihr Vorwürfe zu machen, weil sie sich einmal vergessen hatte? Wie standen die Chancen, dass diese im Kloster aufgewachsene Waise, dieses verschreckte Täubchen, sich unter meiner Berührung in eine brünstige Katze verwandeln, mich mit ihren Beinen umklammern, sich unter mir winden, mir den Rücken zerkratzen, um noch mehr betteln würde? Du dummer dicker Juwelier! Keine Hure in ganz Madrid kann dir das geben, was du vor deiner Nase gehabt hast! Wer hätte gedacht, dass sie würde Schutz suchen müssen und ihn bei uns fände, bei Gumersinda und Javier, aber auch bei Pepa und mir, dass wir sie kleiden und ernähren, uns um ihren Guillermino kümmern würden und sie sich um unseren Marianito, und dass alle glücklich und zufrieden sein würden?
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