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Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Titel: Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacek Dehnel
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achtzehn Stühle von dieser Art, achtundzwanzig von jener, acht Fußbänke, Tabletts, Tassen, Bücher, alles, alles. Ich musste die Radierungen von Rembrandt, von Piranesi verschmerzen – mit ihm habe ich in Rom in einem Zimmer gewohnt, ein fürchterlicher Dreckspatz –, zwei Tiepolos, zwei Velázquez, einen Corregio; und einige von meinen Bildern, darunter ein paar hervorragende. Auch den Koloss ließ ich auf ihn überschreiben, damit er weiß, dass ich ihn nicht weniger schätze als meine eigenen Bilder. Sogar auf die Alba hat er reflektiert. Nichts zu machen. Ich nahm das Bargeld: Die Zeiten sind unruhig, das Haus in der Calle de Valverde kann ich nicht in den Koffer packen, aber hundertvierzigtausendsechshundertsiebenundzwanzig Realen schon. Soll der Stinkstiefel doch das ganze Zeug behalten, nach dem er die Pfoten ausgestreckt hat, soll er doch zuschauen, wie die nächsten Armeen ihm die Schränke zertrümmern, das letzte Silbermesser aus der Schublade ziehen, soll er doch schauen, wie sie ihm auf die Bücher scheißen und die Bilder mit Säbeln zerschneiden. Ich werde weit weg sein mit meinen Realen. Und mit einer schönen jungen Frau an der Seite.

Javier spricht
    Mutter ist gestorben, wie sie gelebt hat: Sie hat Platz gemacht. Sie schloss den Sargdeckel hinter sich, wie sie die Tür immer hinter sich schloss, wenn Vater sie anbrüllte, dass er sich nicht auf ein Bild konzentrieren könne, wenn sie so durchs Haus schleiche; aber diesmal hat sie sich an ihm gerächt. Ich weiß nicht, wie sie ihn zu einem solchen Testament gezwungen hat – ob sie einfach gesagt hat: Entweder du unterschreibst, oder ich schmeiße noch heute dein Flittchen hinaus, und sie wird keines unserer Häuser mehr betreten, solange ich lebe, weder hier noch in der Calle de los Reyes? Vielleicht musste sie das gar nicht sagen, vielleicht verstand es sich von selbst. Mach mit ihr, was du willst, aber unser gemeinsames Geld bekommt unser gemeinsamer Sohn und nicht irgendein Bankert. Denk daran, dass du arm wie eine Kirchenmaus warst, als du zu mir gekommen bist und um meine Hand angehalten hast, und dass einem Bauer aus Fuendetodos, einem wie dir, mein Paco, schwindlig wurde beim Anblick meiner – gar nicht so üppigen – Mitgift. Hier, bitteschön, keine Widerrede, ich habe bereits die Feder in die Tinte getaucht. Mach schon. Oder vielleicht dachte er, als er einwilligte, auch nur an den nackten Hintern in seinem Bett und nicht daran, was das tatsächlich heißt – »die Hälfte des Vermögens«? Ich weiß nicht.
    Ich habe ihm alles genommen, ohne mit der Wimper zu zucken. Haus, Möbel, Bibliothek, Bilder. Er hatte die Stirn, mir meinen eigenen Koloss zu geben, als gehörte er ihm! Aber was soll’s: Er hat nur das Geld behalten, und das bringt er ohnehin nicht aus Madrid hinaus, weil sie es an der Stadtgrenze beschlagnahmen; wenn er also fliehen will, wird er fast alles bei mir lassen müssen. Er hat sich übers Ohr hauen lassen wie ein Kind.

Francisco spricht
    Je länger ich lebe, desto mehr schätze ich meine Taubheit. Selbst wenn Leocadia mir die Hölle heiß macht, kann ich die Augen schließen und bin dann vollkommen getrennt von ihr; soll sie doch mit den Töpfen knallen in der Küche, soll sie brüllen, soll sie um sich werfen, womit sie will – ich bin ganz allein mit meiner arthritischen Hand, mit der ich eine Linie zu ziehen versuche: die einzig richtige unter unzähligen falschen. Kleine Kinder schreien – ich weiß noch, wie mich das zur Weißglut brachte in der alten Wohnung in der Calle del Desengaño, wo es statt Mauern nur dünne Zwischenwände gab und das Kinderzimmer an die Werkstatt grenzte –, Leocadias Kinder sind wunderbar still. Der Krieg ist still. Sie können direkt an meiner Tür jemanden erschießen, er kann mit von Kugeln zertrümmerten Knien um Hilfe flehen, Tag und Nacht röcheln und heulen, ich höre weder den Schuss noch das anhaltende Gebrüll, ich schlafe wie ein Säugling. Falls ein Säugling solche Träume haben kann wie ich … Davor schützt auch die Taubheit nicht. Im Schlaf höre ich jedes Knistern eines Zweiges unter dem Fuß der Hexe, die sich mit einem Korb voller Neugeborener auf den Sabbat schleicht, jedes Flattern der papiernen Flügel eines Fledermausmenschen, jeden Ton im heiseren Schrei eines Soldaten, der auf einen Zaunpfahl gespießt ist, das Lachen eines dummen Riesen. Davor kann ich nicht fliehen; es ist dieses Land, das in mir heult.

Javier spricht
    Wenn mir einer gesagt

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