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Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Titel: Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacek Dehnel
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hätte, dass ich mich einmal so verhalten würde, hätte ich ihn ausgelacht, als Idioten beschimpft – das sagte ich mir und wickelte den Mantel enger um mich, denn der Wind wehte grausam und trug Sand, Geröll und den Gestank des Krieges über die Straßen, der auch von den vielen Blumen nicht gemildert wurde, mit denen man Wellington begrüßte. Aber ich ging dennoch. Ich sagte mir, wenn Räuber oder irre Soldaten aus einem zerschlagenen Regiment ihn auf unwegsamem Gelände aus der Kutsche zerren, wenn sie Leocadia die Kehle durchschneiden, die Köpfe der Kinder an den Radnaben zerschmettern und ihn vom Bauch bis zum Schlüsselbein aufschlitzen, einfach verrecken lassen und mit den Beuteln voller Realen abhauen, dann wird es mir um diese Hälfte des Erbes leid tun. Aber es ging nicht ums Erbe. Es ging um etwas, das ich mir nicht erklären konnte: Also marschierte ich und pfiff vor mich hin. Das Pfeifen half.

Francisco spricht
    Ich habe es schon immer gesagt: Es ist keine Erfindung von Karikaturisten, dass Gendarmen hässlich und dumm sind; diejenigen, die mitten in der Nacht bei uns auftauchten, brüllten, mit den Gewehrkolben gegen die Tür schlugen und alle aus dem Schlaf rissen – obwohl gerade ich mich nicht beklagen kann, denn mich weckte Leocadia, die mich zuerst an der Schulter und dann, als ich nicht reagierte, am Ohr zerrte –, sahen aus, als wären sie den schlimmsten Karikaturen entsprungen. Und zwar solchen von ungeschickter Hand: Pfusch mit schrillen Farben, von provinziellen Künstlern, die schon ein Gläschen intus haben.
    Was sollte man tun – in der Tat, die Koffer waren gepackt und bereit für die Reise, aber wir hatten keine Erlaubnis, die Stadt zu verlassen. Jemand muss uns verpfiffen haben – wer, weiß ich nicht. Das Dienstmädchen, die Wäscherin, Leocadias Mann? Spitzel wie Sand am Meer, sie werfen sich um die Wette jeder neuen Macht an den Hals, und in den Taschen klingen noch die Maravedis von den Vorgängern, die ihren Einflüsterungen ein Ohr geliehen haben.

XV
    Die Pilger
    Umfassend ist die Finsternis, die die Welt bedeckt hat – umfassend und dicht; es ist mühsam, sie zu durchqueren, die Füße bleiben bis zu den Knöcheln in fauligem Schwarz stecken; das Schwarz, aufgewühlt, schwappt und blubbert, von Schwarz getränkte Wolken ziehen über den dunklen Himmel wie Bögen von Löschpapier, schwer von Tinte, Papier, mit dem man Briefe mit den schlimmsten Nachrichten gelöscht hat.

Und dennoch strömen sie, ununterbrochen, ihr langer Zug hat keinen Anfang, er kommt von überallher, zwischen den Bergen hervor, aus allen Stadttoren, aus den Türen von Palästen und Häusern, aus Klöstern und Höfen; zu Anfang ziehen sie einzeln, aber je weiter sie kommen, desto mehr werden sie, desto mehr vereinigen sie sich, ducken sich zusammen, kleben aneinander. Ein Mönch in Kapuze neben einem Irren mit Stock, ein Denker mit schütterem Haar und zusammengepressten Lippen, der zugleich unterwürfig und forschend blickt, dicht daneben ein besessen singender Sainete -Musikant, den Mund so weit offen, dass man eine schwarze Orange hineinwerfen könnte. Vagabunden und Bettler, Geheimpolizei in Umhängen und Zylindern, eine Maja in einem Witwenschleier, den sie gern abwirft, wenn sich die Gelegenheit bietet.
    Ein Lichtstrahl holt sie aus der Dunkelheit, und sie rotten sich zusammen, unsicher, ob sie angesichts dieses Übermaßes an Glanz und Würde auseinanderstieben oder es wagen sollen weiterzugehen, auf die majestätische Erscheinung zu.
    Die Stadt ist krank, von Schimmel und Typhus befallen, von den zehn Plagen, von Zorn und Verzweiflung, und fremde Heere wechseln sich ab wie Ströme von Kakerlaken mit verschiedenfarbigen Panzern – hier indessen, am Manzanares, in San Isidro, sprudelt die Quelle des hellsten Lichts, um das sie sich scharen wie Falter ohne Verstand.
    Erst als sie fast die Hand ausstrecken können, begreifen sie, dass das, was da leuchtet, was sie mit Glanz überschüttet, ein Ungeheuer ist. Man kann es an ihren Augen erkennen, an den runden Augen. Manche sehen es auch dann nicht.

XVI
Javier spricht
    Immer neue Armeen zogen über die ausgedörrte Erde, zwischen Getreidefeldern mit Mutterkorn sickerte das Blut in den Sand, als wollte es bis zur Mitte der Erde vordringen, durch unser Sträßchen und über die Segovia-Brücke fuhren immer wieder Kutschen, immer wieder reiche Damen in Karossen mit dicht verschlossenen Fenstern spazieren, hinter denen weder eine Schleife noch eine

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