Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)
López schickte, damit dieser den »berühmten Goya« porträtiere, drohte der Alte damit, er werde sich gleich revanchieren und López malen. Aber daraus wurde nichts – arthritische Finger, die Augen blind. Sogar Pinsel und Palette musste ich für ihn suchen. Doch als es darauf ankam, hat er Marianito in einer Sitzung gemalt, der alte Fuchs.
Mariano spricht
Mit Großvater über die wichtigsten Dinge zu sprechen war schwierig – nicht, weil er dazu nichts zu sagen gehabt hätte, ganz im Gegenteil, sondern weil die wichtigsten Dinge viele Worte brauchen.
Vater hat die höheren, die erhabenen Dinge nie verstanden; Großvater sagte mir – nachdem er gefragt hatte, ob ich ein Geheimnis hüten könne –, dafür gebe es eine wissenschaftliche Erklärung, die er von einem Herrn gehört habe, der etwas von Chemie versteht: Es sei das Bleiweiß, dieser feine Staub von den geschliffenen Leinwänden, der im Atelier immer alles bedeckt. Er vergifte den Körper, langsam, aber sicher. Doch Großvaters Meinung nach hat das Bleiweiß nichts damit zu tun, das seien Hirngespinste von Ärzten, und von Ärzten habe man ja nicht viel zu erwarten. »Er ist eben so«, sagte er, »und war es schon immer. Wie die Marionette, die von einer Bande Weibern auf einer Decke in die Höhe geworfen wird, willenlos. Als hätte man ihm oben alles abgeschnitten, verstehst du. Er isst, er scheißt, er hat sogar dich gemacht, wenn auch ohne große Lust, eher aus Anstand; aber wenn es um Höheres geht, um Ungreifbares, dann steht er mit leeren Händen da. So ist er immer gewesen, von Geburt an.«
Francisco spricht
In Bordeaux habe ich das Irrenhaus gesehen, habe dort gezeichnet, bis es dunkel wurde: Verrückte, die auf dem Boden knieten und schluchzten, die brüllten und wütend durch die Zelle tobten, die die Köpfe durchs Gitter steckten. In ihrer unendlichen Unschuld erinnerten sie mich an zwei andere Irre, von vor Jahren, aber dazu kein Wort. Wenn man mich fragen würde, so säße ich lieber bei denen dort und hörte ihrem Geschrei zu, als im Salon von Javier über nichts zu reden; diese leeren Gespräche, diese Worthülsen, in denen nichts Lebendiges ist, halte ich nicht aus.
Aber trotzdem – kaum war ich wieder zurück in Frankreich, hatte ich Sehnsucht nach ihnen allen; wenn ich eindöste – was immer häufiger vorkommt –, dann sah ich sie so genau, als säßen sie mir gegenüber. Ich schicke einen Brief nach dem anderen – jedes Mal irgendwelche Ausflüchte. Obwohl ich ausdrücklich schreibe, dass ich alle Reisekosten übernehme, sie müssen nicht einen Real dafür ausgeben.
Ein andermal sage ich mir: Du ungeduldiger alter Esel, warum hast du es denn so eilig, bis zu Tizians Alter hast du noch viele Jahre!
Javier spricht
Mein ganzes Leben habe ich viel gelesen, vielleicht war ich nur darin wirklich gut, und zwischen den Zeilen kann ich nicht schlechter lesen als die Zeilen selbst. Ich wusste, dass das Ende nahe war, das Doktor Arrieta schon vor vielen Jahren angekündigt hatte: Jetzt war er dran, der alte Bock.
Und hier noch ein Capricho: auf dem Bett das Profil des sterbenden Alten in der Schlafmütze, und daneben hebt sich eine schwarze Gestalt vom Hintergrund der weißen Laken ab: die junge Geliebte plündert die Koffer. Er hat sich hereinlegen lassen – ich nicht. Frankreich hat uns zur Rettung die Hunderttausend Söhne des Heiligen Ludwig geschickt, ich habe Gumersinda und den Jungen nach Frankreich geschickt, um das Vermögen zu retten. Wir sind quitt.
XXI
Mariano spricht
Mutter klagte halblaut, während der ganzen Fahrt. Über die Passagiere, über den Kutscher, über die Schlaglöcher. Halblaut, flüsternd, tuschel-tuschel. Tag für Tag. Sie hörte nur auf, wenn sie sich ins Bett legte, aber auch danach vernahm ich durch die Trennwand, wie sie im Schlaf brummte. Wir kamen am späten Nachmittag des achtundzwanzigsten an, um rechtzeitig zum Geburtstag dazusein. Dem zweiundachtzigsten. Man weiß ja, wie Großvater ist – er freute sich mehr über uns als über die Geschenke. Und mehr über das, was er für uns vorbereitet hatte, als über das, was er von uns bekam. Was er bekommen sollte, denn wir haben es ja nicht mehr geschafft. Am ersten Tag trafen wir Brugada und Molina an, den Großvater seit einiger Zeit malte; das unvollendete Bild steht übrigens noch auf der Staffelei, von einem dünnen Leinentuch verhüllt. Wir hörten zu, wie Rosario auf dem Flügel lustige Stücke spielte, die sie gerade gelernt hatte –
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