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Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Titel: Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacek Dehnel
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Instrumenten; Onkel Goicoechea hat uns einen schönen Mahagonitisch mit Notenständern geschenkt, Concepcións Tante ein Porzellanservice der besten Sorte. Wenn mein Großvater ein in der schmutzigen Erde von Fuendetodos gefundener Diamant war, so werde ich ein Brillant sein.

XXV
Javier spricht
    In jener Zeit sprach ich fast gar nicht mehr mit Gumersinda, das ist ja oft so bei Ehegatten. Auf frühere Angelegenheiten, die ganz alten, kamen wir gar nicht zurück, aber auch nicht auf neuere: Vaters Agonie und mein spätes Eintreffen in Bordeaux. Bei allen Fehlern, von denen sie bestimmt nicht wenige hatte, besaß meine Frau doch immer eine gewisse Empfindsamkeit oder, besser gesagt, ein Gefühl dafür, über welche Angelegenheiten sie noch mehr schweigen sollte als über alle anderen. Einmal, kann ich mich erinnern, sagte Mariano, seine Mutter gehöre zu den schwatzhaften Menschen, was mich ungemein erstaunte – in der Tat, mit anderen sprach sie häufiger, in meiner Gegenwart jedoch schwieg sie in der Regel. Ich weiß nicht, vielleicht mochte sie mich einfach nicht – eigentlich kenne ich sie nicht gut genug, um darüber zu urteilen; jeder von uns versuchte, seine ehelichen Pflichten zu erfüllen, so gut er konnte. Kann man von einem Menschen mehr verlangen?
    Und dennoch kam es vor, sogar in späteren Jahren, dass wir uns stritten – bis heute begreife ich nicht, wie es möglich ist, dass zwei Menschen, die zwar unter einem Dach wohnen, aber in einem Haus, das geräumig genug ist, dass sie sich den ganzen Tag aus dem Weg gehen können und sich nicht in die Augen sehen müssen, trotzdem zu überflüssigen Ausbrüchen von Emotionen neigen. Umso weniger, als die mit so viel Bitterkeit ausgesprochenen Worte, all die Vorwürfe und Argumentationen sich mit der Zeit verflüchtigen, verblassen, in Vergessenheit geraten; von den Streitereien bleibt nichts, absolut nichts, lassen wir den Schlamm, die stinkenden Rückstände außer Acht, die sich in den Winkeln der sogenannten Seele absetzen. Und das, was mich von allen Streitereien am tiefsten traf, was sich ins Gewebe meiner Erinnerung eingefressen hat, ist eben die Szene, die ich nicht erleben wollte – Vaters letzte Worte. Jahrelang hat sie mir das erspart, hat kein Wort gesagt, das mich auf die richtige Spur hätte führen können, aber eines Tages hielt sie es nicht mehr aus – und das Lächerlichste dabei ist, dass es um nichts Wichtiges ging … Betrifft der schmerzlichste Streit nicht immer ganz banale Dinge? Reagieren wir nicht auf Kleinigkeiten, auf ein umgestoßenes Glas, einen Fleck auf dem Rock, die Verspätung zum Abendessen, mit den niederträchtigsten Beschimpfungen, lösen nicht gerade diese Belanglosigkeiten die schmerzlichsten Schläge aus? Es ging also um eine Lappalie, einen abgerissenen Knopf, einen nicht abgeschickten Dankesbrief – und plötzlich wurden aus zwei zivilisierten, allmählich alternden Menschen zwei rasende Maultiere, die mit riesengroßen Zähnen aufeinander losgingen; und auch wenn wir durch den langen Tisch getrennt waren, auch wenn keiner von uns die Hand gegen den anderen erhob, wir immer noch ordentlich gekleidet und bis zum Hals zugeknöpft blieben, so hatten wir uns doch in zwei wütende Maultiere verwandelt, die sich bis aufs Blut bissen, die vor Schmerz wieherten und sich mit den unflätigsten Wörtern verhöhnten; wer am tiefsten verletzen will, schlägt entweder auf eine Stelle ein, wo alte Wunden noch nicht verheilt sind, oder dahin, wo wir keinen Schlag erwarten; und nachdem sie schon alle Stellen getroffen hatte, auf die mein Vater immer einschlug, nachdem ich zu hören bekommen hatte, ich sei ein fetter Faulenzer, ein Versager, eine erbärmliche Trantüte, das Gespött der ganzen Stadt, ein Kapaun, der Mangel an Begabung in Person, ein Maler, der nie ein Bild gemalt hat, nachdem sie in allen Wunden herumgestochert hatte, die sich nacheinander wie große, schmerzhafte Rosen entfalteten, da kreischte sie, als wollte sie mir mit dem Spaten den Todesstoß versetzen: »Du weißt ja nicht einmal, du Hampelmann, was die letzten Worte deines Vaters waren!«
    Sie hatte recht, ich wusste es nicht. Ich war nicht dort, ich war nicht mit ihnen in Bordeaux, zu jener Zeit lief ich durch Madrid und wartete auf diesen kleinen Stich, der mir sagen würde: » Jetzt, Javier, es ist soweit. Du kannst fahren.« Und sie schaute mich an, mit verbissenem Gesicht, mit vor Wut zusammengekniffenen Lippen, die ganz weiß waren, mit hochrotem Kopf,

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