Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)
nach Saragossa gegeben hatte, benutzte er nur alte Keilrahmen, von denen er die Farbe abkratzte und die er dann neu bemalte; auf meiner Suche durchwühlte ich das ganze Atelier. Ohne großen Erfolg. Und erst da erinnerte ich mich an den Kasten, den ich zum vierzehnten oder fünfzehnten Geburtstag bekommen hatte; mit diesen Farben hatte ich den Koloss und einige kleinere Bilder gemalt, später hörte ich auf damit und vergrub alles in meinem Zimmer. Als wir die Wohnung für Mariano und Concepción möblierten, fuhren wir eine Menge Gerümpel aufs Land. Wir warfen es in einem der unbenutzten Zimmer im älteren Teil des Hauses auf einen Haufen, neben die veralteten Rokokoschränke, die von meiner Mutter stammten und voll waren von ihren mottenzerfressenen Kleidern und Schals und den Majo -Kleidern, die Vater getragen hatte, als er noch jung und noch nicht taub war; die Tür war verschlossen, also lehnte ich mich aus dem Fenster und rief Felipe, der im Garten mit Schneiden oder Graben beschäftigt war. Er kam, kratzte sich an der Nase, sah sich die Klinke und das Schloss an und sagte: »Das ist so lange her, woher soll ich wissen, wo der Schlüssel ist, Herr. Es wird besser sein, etwas Neues zu kaufen, als dort nachzusehen.« Ich hieß ihn in den Schuppen gehen, ein Stück Eisen holen, um die Tür aufzubrechen, doch da begann er zu klagen, es sei schade um das Schloss, es habe keinen Sinn, so einen Aufwand zu treiben, der Schlüssel fände sich sicher noch irgendwo – und er ging in den Schuppen und wühlte eine Weile herum.
Die Sonne fiel durchs Fenster und zeichnete ausgefranste Quadrate auf die in diesem Teil des Hauses ganz rohe, nicht einmal geweißte Wand voller Vorsprünge und Unebenheiten. Aus einer Ecke holte ich mir einen alten Stuhl mit kaputtem Sitz, wischte ihn notdürftig mit dem Taschentuch ab und setzte mich auf den Rand, um mich nicht schmutzig zu machen. Es wurde immer heißer, und Felipe dachte nicht daran zu kommen. Er suchte und stöberte. Schließlich schleppte er sich wieder aus dem Schuppen, klagte über die Hitze (was sollte ich erst sagen, da ich in diesem aufgeheizten Flur sitzen musste, weil er keine Lust hatte, sich zu beeilen, ganz zu schweigen davon, wie er die Schlüssel aufbewahrte) und hielt das gesuchte Stück triumphierend zwischen zwei Fingern. Er steckte es ins Schloss, rüttelte, rüttelte wieder, vergebens. Da griff er in die Tasche und holte noch fünf, sechs andere Schlüssel heraus, von denen er ebenfalls keine Ahnung hatte, zu welchen Türen oder Möbeln sie passten; beim vierten Mal gelang es ihm, die Tür zu öffnen, recht mühsam, denn das Schloss war seit ewiger Zeit nicht benutzt worden.
Im Innern roch es nach Mäusen und in der Hitze ausgedörrtem Staub. Felipe blieb an der Schwelle stehen und schaute unwillig; ich ging immer weiter hinein, darauf achtend, dass ich mir nicht an einem abgebrochenen Stuhlbein oder dem abgeschlagenen Deckel einer Kiste den Knöchel verstauchte (jemand musste sich hier umgesehen haben – vielleicht war Felipe deshalb so zögerlich mit dem Schlüssel?), immer tiefer drang ich in das Dickicht der alten, unnützen Dinge ein, wurde immer staubiger, und meine Hände sahen immer schwärzer aus vom Wühlen in den Überbleibseln unseres Familienlebens. Aber ich hatte mich nicht getäuscht – in einem der Schränke aus Madrid, unter einem Stapel Schals meiner Mutter, fand ich meinen alten Farbkasten; elegant, schön lackiert, mit den einst blitzenden, jetzt jedoch etwas matt gewordenen Beschlägen, ließ er immer noch das wunderbare Geschenk für den angehenden Maler ahnen; auf dem Deckel – ich suchte einen Lappen, wischte ihn schließlich mit einem der Schals ab – waren zwei Flecken: ein gebrochenes Grünbraun, das mir während der Arbeit am Koloss vom Pinsel getropft war, und ein Taubenblau, ich weiß nicht mehr woher; ich begann zu husten und hustete weiter, bis ich den Kasten auf die neben dem Schrank stehende Kommode gelegt hatte; ich krümmte mich zusammen, nahm den Kasten unter den Arm und verließ schließlich dieses Gerümpel-Mausoleum der Familie Goya, um etwas frischere Luft zu atmen.
Mariano spricht
Jetzt ist es Zeit für Menschen wie mich: Nicht das Brüten über Büchern zählt, sondern die große Vision, nicht die Stunden in der Kirche, sondern das weltmännische Leben – diesen Glanz, diesen Schein kann man nicht nachmachen, nicht fälschen.
Wenn ich durch die Straßen von Madrid fahre, weiß ich, dass Ruhm, Anerkennung
Weitere Kostenlose Bücher