Satzfetzen: Kriminalroman: Ein Zürich-Krimi
wandern gingen. Das Jassgrüppchen, das sich aus einem Grünen und drei Bürgerlichen zusammensetzte. Innerhalb der Parteien gab es zwar die gemeinsamen politischen Ziele, aber auch Konkurrenz um Profilierung, Medienpräsenz und Wiederwahl.
Am späteren Nachmittag hatte Streiff Fridolin Heer aufgesucht. Aha, da räumt einer sein Leben auf, war sein erster Gedanke gewesen, als er die Wohnung betreten hatte. Heer war am Putzen. Allerdings war er damit noch nicht sehr weit gekommen. Er war Mitte 30, wirkte aber jünger. Ein irgendwie unfertiges Gesicht, ein paar Pickel, eine Brille, die für seinen hellen Typ zu hart wirkte. In Trainerhose und T-Shirt stand er in seinem Durcheinander. Es roch muffig, obwohl ein Fenster offen stand. Vermutlich, dachte Streiff, hat er, als er vor einem halben Jahr arbeitslos wurde, die Putzfrau entlassen und seither im Haushalt keinen Streich mehr getan. Offenbar sind jetzt seine Lebensgeister zurückgekehrt. Leere Bierflaschen, Stöße von Altpapier, halb gefüllte Abfallsäcke, schmutzige Kleider standen und lagen herum, auf den Möbeln hatte sich der Staub fingerdick niedergelassen. Der Staubsauger und eine Batterie von Reinigungsmitteln und Lappen waren bereitgestellt, um dem Chaos zu Leibe zu rücken. Heer war sehr liebenswürdig gewesen.
»Angela Legler? Ein paar Routinefragen? Sicher, kommen Sie in die Küche, dort siehts zurzeit am besten aus.«
Natürlich hatte er Angela Legler gekannt, eine profilierte, verdiente Politikerin. Sehr traurig, ihr gewaltsamer Tod. Ja, er würde für sie in den Kantonsrat nachrücken. Er blieb unverändert zugänglich und höflich, auch als Streiff ihn mit schärferen Fragen zu provozieren versuchte.
»Ihr Tod kommt Ihnen doch eigentlich sehr gelegen?«
Ein verwunderter Blick. »Nein, das kann man nicht sagen. Für die Partei ist ihr Tod ein Verlust. Und mir liegt daran, dass die Partei gut aufgestellt ist.«
»Und wie ist es für Sie persönlich?«
»Ich freue mich natürlich, diese Chance zu bekommen.«
»Haben Sie nicht nach Leglers Wahl geäußert, es komme immer wieder vor, dass jemand nicht die ganze Legislatur im Rat verbleibt?«, bohrte Streiff.
»Das kommt tatsächlich ab und zu vor«, bestätigte Heer freundlich.
»Wo waren Sie am Dienstagabend zwischen 22 Uhr und Mitternacht?«
»Einen Moment, da muss ich in meiner Agenda nachschauen. Hm, da war ich hier. Ich habe wohl ferngesehen.«
»Zeugen?«
»Wie Sie sicher bemerkt haben, lebe ich allein. Und Gäste habe ich selten.«
Mit keinem Wort kommentierte Fridolin Heer den Umstand, dass Streiff ihn nach einem Alibi für die Mordzeit gefragt hatte. Keine Unsicherheit, keine Verwunderung, kein Ärger. Streiff fand das seltsam. Der Typ war glatt wie ein Fisch. Wäre da nicht die verwahrloste Wohnung gewesen, hätte man denken können, Heer sei jemand, der sein Leben selbstverständlich im Griff hatte.
»Sie sind arbeitslos?«, hatte Streiff weiter gefragt.
»Die Wirtschaftskrise, Sie verstehen«, hatte Heer gesagt. Aber die Frage schien ihm unangenehm zu sein. »Es hat mich getroffen, wie Hunderte andere auch. Zum Glück bin ich über 30.«
Damit spielte er auf den Entscheid des schweizerischen Parlaments an, dass unter 30-jährigen Arbeitslosen jede Arbeit zugemutet werden konnte, egal, ob sie ihrer Ausbildung entsprach oder nicht.
»Sonst würde ich mich vielleicht als Kellner wiederfinden, oder auf dem Bau.«
»Na, Sie werden ja jetzt auch Politiker, da können Sie vielleicht Gegensteuer geben.«
Streiff hatte sich verabschiedet.
Immer noch verfolgte ihn das unbestimmte Gefühl, bei der gestrigen Befragung etwas zu wenig beachtet, etwas übersehen zu haben. Er ging nochmals die Protokolle durch, rief sich die Gespräche in Erinnerung – vergeblich. Es quälte ihn. Vielleicht war es ja nichts Wichtiges. Vielleicht aber doch. Er versuchte, Valerie anzurufen, erreichte sie aber nicht. Ob sie heute mit Stucki aus war? Wohin würde er sie ausführen? Kronenhalle? Kaufleuten? Dieser Angeber.
Zuhause schob sich Streiff eine Fertigpizza in den Ofen. Wenn Valerie bei ihm war, kochte er gern aufwendig und mit Sorgfalt für sie. Sie selbst war eine Banausin, Vitamine und Ballaststoffe kümmerten sie nicht, Hauptsache, es stand rasch etwas auf dem Tisch. Aber sie genoss es, von Beat bekocht zu werden, was wiederum ihn anspornte. Wenn er allein war, ging es ihm nicht anders als ihr. Nach einem langen Arbeitstag hatte er keine Lust mehr, sich ein Menü auszudenken, Gemüse zu
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