Satzfetzen: Kriminalroman: Ein Zürich-Krimi
hinzu.
»Eben, genau wie ich.«
Sie verabredete sich mit ihm für Samstag. Dann ging sie wieder ins Büro hinunter. Ihre Trennung vor gut acht Jahren war von Kränkungen und Streit begleitet gewesen und sie hatten den Kontakt abgebrochen. Lorenz war Valerie mit der Zeit ferngerückt, sie hatte nicht mehr viel an ihn gedacht. Und doch war ein Bedauern geblieben, dass es nicht möglich gewesen war, die Beziehung in eine Freundschaft umzuwandeln. Nun schien Lorenz sich sehr verändert zu haben. Valerie freute sich auf Samstag.
Sie wandte sich wieder der Website zu. Lina hatte ihr die neuen Seiten geschickt. Sie hatten ein Arrangement. Ihre Freundin redigierte und korrigierte jeweils die neuen Texte, da Valerie sich nicht besonders für Grammatik und Orthografie interessierte. Sie hatte viele Ideen, die sie rasch niederschrieb, wenn nötig mit Zeichnungen oder Fotos ergänzte und zügig ins Netz stellte. Aber formale Details waren nicht ihre Sache, dafür war sie zu ungeduldig. Das hatte Lina irgendwann nicht mehr mitansehen können. Ihr tat schon das Herz weh, wenn sie an einem dreibeinigen Stuhl auf der Straße einen Zettel ›Gratis, zum mitnehmen‹ – mitnehmen klein geschrieben – entdeckte. Deshalb surfte sie ab und zu auf der Homepage von FahrGut, druckte die neuen Seiten aus und korrigierte sie. Und sie kontrollierte unnachgiebig, ob Valerie die Korrekturen auch übernahm. Was Valerie spätestens nach der ersten Mahnung auch tat.
Sie schaute durch die Glasscheibe, welche das Büro vom Ausstellungsraum trennte, folgte mit den Augen dem Lauf der Wendeltreppe, die hinunterführte. Es kam immer noch ab und zu vor, wenn auch seltener, dass sie plötzlich Hugo Tschudi daliegen sah, am Fuß der Treppe, in seltsam verrenkter Stellung. Oder, und dieses Bild war fast unheimlicher, die weiße Kreidezeichnung seines Umrisses. Damit musste sie leben. Und damit konnte sie auch leben. Sie wandte sich ab und konzentrierte sich wieder auf den Bildschirm.
19 Uhr. Streiff schlug den Ordner zu und gähnte. Knochenarbeit, hatte er gestern Abend gedacht. Genau das war es heute gewesen. Viel hatte dabei nicht herausgeschaut. Befragungen von Leuten, die empört gewesen waren über die Tatsache, dass er sie bei der Arbeit störte und sie vernahm. Entrüstet über das, was er ihnen, ihrer Meinung nach, unterstellt hatte. Angela Legler bestochen? Eine Beleidigung, so etwas auch nur anzunehmen. Wie oft hatte er heute darauf hingewiesen, dass er in einem Mordfall ermittelte und Routinefragen stellen musste? Sämtliche P, wie er sie bei sich nannte, hatten abgestritten, das Dankesbriefchen verfasst zu haben – und die Handschriftenproben gaben ihnen recht. Der Zettel enthielt einen halben Fingerabdruck. Sollte er sämtlichen 180 Kantonsrätinnen und Kantonsräten die Fingerabdrücke abnehmen? Streiff zögerte. Der Aufruhr wäre groß. Die Lokalmedien würden über ihn herfallen, falls die Aktion keine Erkenntnisse brachte. Er beschloss, zuerst zu schauen, ob er auf anderem Weg weiterkam. Die Gespräche mit Fraktionskolleginnen und -kollegen von Angela Legler waren indessen ebenfalls eher unergiebig verlaufen. Niemand hatte richtig mit der Sprache herausrücken wollen. Streiff hatte den Eindruck, dass Legler ziemlich unbeliebt gewesen war. Aber das hatte natürlich niemand aussprechen wollen. De mortuis … Sie hatten eifrig ihr Engagement für den verlängerten Mutterschaftsurlaub betont, ratlos reagiert auf die Tatsache, dass Angela Legler in der AG KVK entgegen der Fraktionsmeinung gegen den Veloweg in der Dufourstraße gestimmt hatte, und peinlich berührt laviert, wenn er sie nach der unseligen Flohmarktgeschichte gefragt hatte.
In offensichtliche Verlegenheit waren zwei oder drei Fraktionsmitglieder geraten, bei denen er sich nach Fridolin Heer, dem Nachfolger von Angela Legler, erkundigt hatte. Auch er schien in der CVP keinen großen Fanclub zu haben. Wie geht das, sinnierte Streiff, dieser sarkastische Witz, diese Steigerungsform, die ich einmal von einem Politiker gehört habe? Freund – Feind – Parteifreund. Von Valerie, die das natürlich von Lina hatte, wusste er, dass Freundschaften unter Politikern nicht entlang der Parteigrenzen verliefen, sondern sich kreuz und quer fraktionsübergreifend entwickelten. Eine SP-Frau, die eine, nicht einmal so heimliche, Affäre mit einem SVP-Mann hatte. Ein FDP- und ein CVP-Mitglied, die sich in Ratsdebatten nichts schenkten, aber an Wochenenden einträchtig zusammen
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