Satzfetzen: Kriminalroman: Ein Zürich-Krimi
beiden war, sondern er hat ihr etwas entgegenzusetzen, seine Ermittlungsarbeit.«
»Ja, das mag der Unterschied sein.«
»Ich habe mich auch schon gefragt«, fuhr Valerie fort, »wie man mit der Tatsache leben kann, dass man jemanden umgebracht hat. Darauf weiß ich keine Antwort. Ich habe das einmal geträumt. Es war der schlimmste Traum meines Lebens. Und die größte Erleichterung, als mir beim Aufwachen aufging, dass es nicht wahr war.«
Lina nickte. »Ich könnte nie wieder unbeschwert sein. Oder gewöhnt man sich vielleicht auch daran? – Ich mag nicht mehr an diese schweren Themen denken. Am liebsten möchte ich am Montag gar nicht ins Büro gehen. Raffaela und Carlo werden mich ausfragen, das halte ich nicht aus. Raffaela wird sicher traurig sein, sie mochte Mario und hat manchmal versucht, ein bisschen mit ihm zu flirten. Aber wenn Carlo eine einzige grobe Bemerkung macht, dann laufe ich einfach davon.«
»Kannst du dir nicht ein paar Tage freinehmen?«, schlug Valerie vor. »Vielleicht könntest du dich sogar krankschreiben lassen. Ich könnte dich zu Lorenz schicken, ich habe jetzt ja Beziehungen.« Sie hatte Lina natürlich von ihrer Begegnung mit Lorenz erzählt.
Aber die manchmal zu pflichtbewusste Lina schüttelte den Kopf. »Es geht mir ja schon besser. Morgen gehe ich für zwei Tage nach Bern zu Hannes, dann werde ich es am Montag schon wieder schaffen.«
Wie zum Beweis fing sie jetzt an, mit etwas mehr Appetit zu essen. »Habe ich schon gesagt, dass es sehr lecker ist, was du mir da aufgetischt hast?«
»Nein. Kein Wort hast du bis jetzt gesagt.«
Lina musste lachen. »Entschuldige. Ich bin heute ein ganz schlechter Gast. Aber erzähl mir jetzt mehr von Lorenz. Hat er sich wirklich so verändert?«
Es wurde spät, bis Lina aufbrach.
»Wie ist es denn jetzt für dich, um diese Zeit hinauszugehen?«, wollte Valerie wissen.
»Ach, ich hab das Fahrrad dabei. Es wird schon gehen. Ist ja nicht weit.«
»Ich begleite dich. Seppli muss ja eh noch kurz hinaus«, bot Valerie an.
Lina gab es nicht zu, aber sie war sehr erleichtert. Die Nacht hatte für sie ein anderes Gesicht bekommen, sie fühlte sich ausgesetzt und allein. Wenn sie im Dunkeln hinter sich Schritte hörte, brach ihr der Schweiß aus.
Samstag
Adrian Dürst besah sich im Spiegel. Er fand seine Aufmachung ganz zufriedenstellend. Turnschuhe, Jeans, eine dunkle Mütze. Und ein bunter, dicker Wollpullover. Er sah, fand er, perfekt aus für einen Flohmarktbesuch. Das war doch viel besser, als mit dem Pullover über dem Arm von Stand zu Stand zu gehen und zu fragen, ob jemand eine Person mit einem solchen Pulli kannte, unweigerlich als Polizist erkannt zu werden und einen abschlägigen Bescheid zu erhalten. Stattdessen würde er sich jetzt quasi als Versuchskaninchen ins Getümmel werfen und schauen, was passierte. Dürst hatte das weder mit seinem Chef noch mit Streiff besprochen. Natürlich war ihm klar, dass sich die Situation seit dem Tötungsdelikt an Angela Legler grundlegend geändert hatte. Das war seine eigene Mission, er ging ja quasi als Privatperson an seinem freien Tag dorthin. Konnte ihm wohl schlecht jemand verbieten. Anita, seine Frau, war unterwegs zu einem Patienten. Sie hätte keine Freude gehabt und Dürst war froh, der Diskussion mit ihr ausweichen zu können. Er machte sich auf den Weg.
Auf dem Flohmarkt schlenderte er von Stand zu Stand, befingerte da ein Handy, dort eine Pelzjacke. Er ließ seinen Blick über die Menge schweifen. Hatte er nicht dort hinten etwas Buntes aufblitzen sehen? Nein, das war ein farbenfrohes Plüschtier eines kleinen Jungen. Dürst wühlte in einer Kiste mit alten Vinylplatten, nicht weil sie ihn wirklich interessierten, und dann kaufte er an einem Stand einen Krimi, dessen Titel, Schrottreif, ihm gefiel. Er selbst las keine Krimis, er regte sich zu sehr darüber auf, wie fehlerhaft die Polizeiarbeit meist beschrieben wurde. Das vorliegende Buch war darin sicher keine Ausnahme. Aber Anita verschlang Krimis.
»Bilde dir nur nicht ein, etwas über unsere Arbeit zu erfahren«, sagte er, wenn er sie, in ein Buch vertieft, mit roten Ohren auf dem Sofa antraf.
»Will ich gar nicht«, gab sie jeweils zurück, »stör mich nicht, jetzt ist es gerade so spannend.«
Nach einer halben Stunde begann er, sich zu langweilen und beschloss, sich einen Kaffee zu gönnen. Auf dem Weg zum Kaffeestand tippte ihm plötzlich jemand auf die Schulter.
»Hallo, Bruno.« Dürst drehte sich um.
Hinter ihm
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