Satzfetzen: Kriminalroman: Ein Zürich-Krimi
gepflegtes, dialektfreies Hochdeutsch. Sie verstand nicht, dass es zunehmend mehr Schweizer gab, die sich an den deutschen Zuwanderern störten. Ein bisschen schönes Hochdeutsch konnte diesem Land nur guttun. Schrecklich fand sie die Forderung, die Deutschen sollten Schweizerdeutsch lernen. Sie hatte es Hannes praktisch verboten, sich daran zu versuchen. »Das können wir selbst besser«, hatte sie ihm beschieden. »Deine Mission ist eine andere, du sollst ein schönes Standarddeutsch in dieses Land tragen.« Hannes, ein Banker, der in Frankfurt gelebt hatte, war seit gut drei Jahren in der Schweiz. Die Beziehung mit Lina war seit Jahren eine Fernbeziehung und das hatte nur bedingt mit den getrennten Wohnsitzen zu tun. Sie hätten es wohl auch fertiggebracht, innerhalb der gleichen Stadt eine Fernbeziehung zu führen, denn beide taten sich schwer mit allzu viel Nähe.
Sie waren beim Nydeggstalden angekommen. »Willst du lieber weiter den Fluss entlang oder noch durch die Altstadt bummeln?«, fragte Hannes. »Wir müssen auf jeden Fall noch einkaufen fürs Abendessen.«
Lina, die fröstelte und etwas hungrig war, entschied sich für ein Altstadtcafé. »Wir können ja dann über die Kirchenfeldbrücke zu dir nach Hause gehen. Und einkaufen können wir in der Migros im Quartier. Was wirst du denn für mich kochen?«
Hannes musterte sie streng. »Irgendwas mit einer Rahmsauce. Du hast abgenommen, du bist zu dünn. Wahrscheinlich hast du nichts gegessen seit Dienstag.«
Das stimmte mehr oder weniger. Lina konnte kaum essen, wenn sie bedrückt oder aufgewühlt war.
»Überhaupt wäre es das Beste, du würdest dir eine Woche freinehmen und hierbleiben«, fuhr Hannes fort. »Du musst wieder zu Kräften kommen.«
Lina war bass erstaunt. Hannes wollte sie bei sich haben? In seiner Wohnung? Eine ganze Woche? Dann war er wirklich besorgt um sie. Offenbar machte sie einen ziemlich mitgenommenen Eindruck.
»Es geht nicht«, wandte sie zögernd ein. »Am Montag ist doch wieder Kantonsratsitzung.«
»Kantonsratsitzung. Wenn ich das schon höre. Ein Grund mehr, hier zu bleiben. Sonst stolperst du mir wieder über eine Leiche. Soll doch dein Kollege die Sitzung übernehmen. Eigentlich könntest du dich krankschreiben lassen, nach dem, was du in den letzten Tagen erlebt hast.«
Lina überlegte. Ein paar Tage weg sein von Zürich. Nicht im Büro sitzen, wo die noch nicht reparierte Pultschublade immer noch vom Einbruch zeugte. Nicht Marios leeren Schreibtisch neben sich haben. Es war ein verführerisches Angebot.
»Es geht nicht«, sagte sie nochmals. »Wir sind zu wenig Leute. Raffaela hat die Schweinegrippe, und, und Mario ist, ist nicht mehr da.« Sie brach ab, fühlte wieder einen Kloß in der Kehle, kämpfte die Tränen nieder.
Während Hannes kochte, lag Lina in einem Schaumbad und hörte Musik. Niemand weiß, wo ich bin, dachte sie. Niemand kann mich erreichen. Das Handy hatte sie ausgeschaltet. Aus der Küche erreichten sie Essensdüfte. Wenn sie zusammen waren, war es nie sie, die kochte, nicht einmal, wenn sie bei ihr zu Hause waren. Hannes kochte ausgezeichnet und mit Liebe. Zudem war das Kochen für Lina für ihn ein ungefährliches Terrain, ein Bereich, in dem er geben konnte, sie verwöhnen konnte, ohne sich abgrenzen und immer wieder Distanz markieren zu müssen.
Am frühen Nachmittag war Streiff nochmals ins Büro gegangen. Er hatte bereits vorher ein paar Lammkoteletten, ein Pack Dörrbohnen und kleine Kartoffeln gekauft. Heute Abend wollte er Valerie bekochen. Im Polizeigebäude war er dem jungen Kollegen Adrian Dürst begegnet, der strahlend auf ihn zugekommen war. Einen Moment lang war er verwirrt, weil er nicht wusste, wer da vor ihm stand. Er hatte sich an Dürsts Gesicht nicht erinnern können, hatte dann aber aus seinem Bericht rasch geschlossen, wer er war.
»War heute Morgen auf dem Flohmarkt, rein zufällig, kam grad vorbei«, hatte er erzählt und dann von seinem Fahndungserfolg berichtet. »Das Beste ist, dieser Bruno Trümpy war nicht nur Flohmarkthändler, sondern ist auch ein Kleinkrimineller. Hat vor ein paar Jahren geklaute Ware auf dem Flohmi verkauft.«
Streiff lächelte auf den Stockzähnen. Brav apportiert, dachte er, rief sich aber gleich zur Ordnung und dankte Dürst. Schließlich hatte er selbst diese Spur vernachlässigt. Gut, dass ein anderer ihn darauf aufmerksam machte. Er versprach, sich Trümpy vorzuknöpfen. »Keine Eigenmächtigkeiten«, warnte er den jungen
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